Sich ums Konkrete kümmern

Kleiner Streifzug durch Hermann L. Gremlizas Schöne Neue Junge Welt  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Jung ist die Welt schon lang nicht mehr. Die „erste Jugend-Tageszeitung in der Geschichte der deutschen Presse“ (Günter Raue; „Geschichte des Journalismus in der DDR 1945–1961“) profilierte sich seit 1947 als „politisches Führungsinstrument in der Hand der FDJ, in ihrem Kampf für die Durchsetzung und Verwirklichung der Grundrechte der jungen Generation, die Verteidigung der Einheit der Jugend und die Herstellung der Einheit Deutschlands“ (Erich Honecker in seinem Geleitwort; JW Nr.1 vom 12.2. 1947) und erreichte damit eine Auflage von bis zu 1,8 Millionen verkaufter Exemplare. Berühmt war die Zeitung vor allem für ihre exzellente Sportberichterstattung und die Aufklärungsseiten „Unter vier Augen“, die der wißbegierigen Jugend der DDR „unverklemmt“ 30 Jahre lang Beistand leistete.

Nach der Wende tat man sich eher schwer; es wurde einem ja auch schwer gemacht. Weder Onkel Max noch der finstre Verleger Weihönig, der seinem Imperium (Elefantenpress, Titanic, Freitag, Alltag) die Junge Welt einverleibt hatte (inzwischen wird die JW vom „Azzurro-Medienverlag“ herausgegeben), vermochten das Blatt in lichte Höhen zu führen. Die Auflage sackte in den Keller und liegt zur Zeit bei 30.000.

Alles wäre aus gewesen, wenn nicht konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza als Berater aus Hamburg eingeritten gekommen wäre; im Gepäck ein paar Westler wie Wiglaf Droste, den selbstgewissen Polterer aus Kreuzberg; Oliver Tolmein, den unversöhnten Streiter gegen die Ungerechtigkeit, und den linken Althippy Thomas Ebermann. Der macht jetzt die Bundesliga.

Obgleich „der Gremliza“, wie neulich der Hamburger Altkommunist Matthias Mildner („Rote Bäckerblume“) treffsicher feststellte, „die journalistische Phantasie eines Nilpferdes“ hat, sind die ersten Nummern der neuen Jungen Welt überraschend gut gelungen. Die altbekannte dumpf-dröge Selbstzufriedenheit bekennender Jugendverbände, die krampfhaft vergreisten Versuche, frischgewaschen, artig, frech und irgendwie auch links zu sein, finden sich nur noch am Rande – zum Beispiel im regelmäßigen Abdruck der Abenteuer eines angeblichen DDR- Kulthelden mit dem Namen „Alfons Zitterbacke“. (Da sagt der Name tatsächlich alles.) „Zitterbacke“ wechselt sich mit Jörg- Schröder-Geschichten ab. Und das ist dann doch durchaus interessant, wenn „Zitterbacke“ als DDR-Regressions-Kult – also quasi gleichberechtigt – neben einem der wichtigsten und modernsten westdeutschen Publizisten steht. Da wird man dann plötzlich zum bekennenden Westler und fragt sich, ob die Ostleserschaft, so sie „Zitterbacke“ liebt, nicht ganz richtig im Kopf ist.

Ansonsten ist die Junge Welt auf dem Weg, zu einer durchaus ernst zu nehmenden, unterhaltsamen Zeitung, die glücklicherweise selten versucht, ihr Linkssein in Meinungen kostengünstig darzustellen, sondern sich eher in ausführlichen Reportagen (über Roma und Sinti in Köln; Ex-Besetzer in Zürich oder ein Kiffermeeting in Darmstadt) und langen Interviews ums Konkrete kümmert.

Der postulierte „andere Blick“ in den Texten zwar ist bislang kaum zu finden, allerdings kann man das der JW kaum vorwerfen – gibt es in Deutschland doch nur sehr wenige, denen es gelingt, sich dem Standardtext und Klischees zu entziehen. Für die meisten Feuilleton-Redakteure wären ja noch Barthes' in den fünfziger Jahren erschienene „Mythen des Alltags“ eine extrem progressive Entdeckung.

Gar sehr zu loben ist die Bildredaktion, die in der neuen Jungen Welt für großartige High-Lights sorgte: Auf dem Aufmacherfoto vom 17. Mai zum Beispiel stemmen Renate Schmidt und SPD- Scharping ein Bierchen unter dem Zitat: „Generell ist es so, daß Ausländer betrunkene Deutsche fürchten müssen“, im Fenster von „Berlins erstem Obst-Discounter“ hängt ein Werbeplakat: „Damit Sie uns lieben! Bananen.“ Das ist produktive Ironie, die in den Texten, die nicht weniger standardisiert als woanders sind, leider oft fehlt. Positiv vermerkt zu werden verdient auch, daß die JW als einzige Zeitung bislang auf ein ganzseitiges Lobhudelporträt von Michel Friedman verzichtete.

Ab und an ärgert man sich zwar über ein besinnungslos delirierendes weißes Standard-Rauschen; das einem beispielsweise in einer Magdeburg-Reportage hilflos entgegenlallte: „Die beiden Schwarzen rannten in den Park; die besoffnen Glatzen hinterher. Im Park gab es noch einen kurzen Wortwechsel, der die Bezeichnung Dialog nicht verdient: Beschwichtigungsversuche von den Gejagten – stereotype Haßparolen von den Deutschen. Peter bringt es auf den Nenner: ,Ausländer raus!‘“ So schlecht können nur schlechte Menschen schreiben!

Ansonsten ist die Junge Welt dabei, eine prima Nebenzeitung zu werden. Ob sie das retten wird, ist allerdings eine andere Frage.