: Im Durchschnitt Mitte Zwanzig
■ Das Moers-Festival umwirbt den jungen Hörer mit lebenden Legenden. Organisator Burkhard Hennen singt ein Lied davon
Während die Christen an Pfingsten die Niederkunft des Heiligen Geistes feiern, pilgern Alt-Hippies, Jung-Yippies und andere Musik- Freaks seit 22 Jahren nach Moers. Beim „23. Moers Festival“ erhoffen sie sich vier Tage lang Erleuchtung durch allerhand skurrile Klänge, avantgardistisches Getute, Rap und afrikanische Rhythmen. Was sie auf jeden Fall kriegen werden: viel Nestwärme unter Gleichgesinnten. Organisator und langjähriger „künstlerischer Leiter“ von Janzes ist Burkhard Hennen.
taz: Gibt es so kurz vor dem Start ein erstes Aufatmen?
Burkhard Hennen: Für mich ist das Festival vorüber. Ich kümmere mich bereits um das nächste – mit dem Schwerpunkt China. Dort gibt es viel Musik, die ich noch nicht kenne. Die hole ich her und höre sie an.
Du reist also in der Welt herum und kaufst ein, was dir gefällt?
Falsch. Ich höre mir immer drei Bands an. Davon gefällt mir eine. Zu der sage ich: Bringt noch zwei Bands mit, die euch gefallen. Dann habe ich schon drei chinesische Bands auf dem Moers Festival: eine, die ich kenne, und zwei Überraschungen. So bleibt das Festival Jahr für Jahr für mich spannend.
Aus alldem schließe ich, daß du letztes Jahr in New York warst. Warum gerade da?
New York war in den vergangenen Jahren unterrepräsentiert, weil ich den Trend zum Traditionalismus, der die New Yorker Szene befallen hat, für nicht so wichtig hielt. Diesmal habe ich David Murray & Octofunk, Ronald Shannon Jackson & The Decoding Society und Chico Hamilton & Euphoria ins Programm genommen, weil die jungen Hörer die Originale hören sollten, die bei Acid Jazz und HipHop gesamplet werden.
Das hört sich wie die Ankündigung eines Veteranen-Treffens der Alt-Avantgardisten an.
Wir haben 1993 unser Publikum befragt und dabei herausbekommen, daß es im Durchschnitt 24,6 Jahre alt ist. Ein 20jähriger hatte vor 15 Jahren keine Chance, David Murray bewußt wahrzunehmen. Er hat nicht live erlebt, daß er der stilbildende Tenorsaxophonist der siebziger Jahre war; oder daß Ronald Shannon Jackson das Schlagzeugspiel revolutioniert hat, indem er mit Metren arbeitete, die vorher nicht zu hören waren. Das gleiche kannst du von Chico Hamilton sagen: eine Legende. Er hat mit Westcoast-Musikern wie Gerry Mulligan gespielt und kommt unglaublich jung daher.
Und Moondog? Warum kommt dieser alte Mann?
Auch er ist eine Legende, denn er hat schon früh die verschiedensten Musiken zum Moondog- Sound verschmolzen. Wir haben auf dem Moers-Festival zweimal einige Jahre zu lange gebraucht, um Klassiker zu präsentieren. Die Einstürzenden Neubauten zum Beispiel mußten bis 1990 warten, obwohl sie im Grunde genommen schon Ende der siebziger Jahre fällig gewesen waren. Der andere ist Moondog. Aber es ist nie zu spät. Jetzt feiert er auf dem Festival am 20. Mai seinen 75. Geburtstag. Er ist der älteste, scharf gefolgt von Chico Hamilton, der auch schon 72 ist.
Moondog liebt Saxophon-Kanons. Wer hippt und wer hoppt auf dem Festival?
Hippen werden Jamaaladeen Tacuma & Sound Symphony mit YZ, einem Rapper aus Atlanta, der schon einige Nummer-eins- Hits in den amerikanischen Rap- Charts hatte. Dann haben wir ein deutsches Pendant, die drei Herren von Exponential Enjoyment.
Dann gibt es noch die österreichischen Knödel ...
... die Tiroler Volksmusik in der klassischen Besetzung mit Hackbrett, Violine, Harfe und Fagotte verknödeln. Das ist also eine recht humorvolle Sache.
Festivalorganisatoren versuchen meist einen Spagat zwischen Finanzen, Publikums- und eigenem Geschmack ...
Wir haben einen Vertrag mit der Stadt Moers bis 1996. Im Vergleich zu anderen Festivals haben wir Glück, denn wir haben in der Stadt und im WDR zwei loyale Partner, die mit ihren Zusagen eine Basis gelegt haben, auf der man Sponsoren akquirieren kann. Das war dieses Jahr recht schwer. Ich muß mit einem Gagenbudget, das knapp über 200.000 Mark liegt, klarkommen, denn ich kann bei der Massenarbeitslosigkeit in der Region nicht einfach die Eintrittspreise erhöhen. Schon jetzt hat nicht jeder Jugendliche 125 Mark für eine Dauerkarte locker. Die Arbeitslosigkeit wird in den nächsten Jahren nicht geringer, und das macht das Festival zu einer Gratwanderung. Andererseits hat das Festival ein riesiges Kapital: die Energie der 20.000, die jedes Jahr
Fortsetzung nächste Seite
Fortsetzung
in die riesige Zeltstadt am Stadtpark kommen. Das kostet nichts.
Was fällt sonst noch aus dem Rahmen der traditionsreichen Avantgarde?
Einiges, vor allem Ned Rothenbergs PowerLines: eine positive Alternative zum Traditionalismus- Gebläse, das dir in New York um die Ohren weht. Rothenberg wächst in die Rolle hinein, die in den achtziger Jahren John Zorn ausgefüllt hat. Was Konzeption und Komposition betrifft, finde ich ihn stärker. Aber das sollen die Zuschauer und Kritiker entscheiden – und nicht ein lausiger künstlerischer Leiter.
Eben. Künstlerische Leiter sind dazu da, daß sie nach dem Festival eins auf die Mütze kriegen. Jetzt ist auch das heilige „New Jazz“ auf dem Festivalplakat nur noch winzig klein geschrieben.
Ich habe dafür plädiert, das „New Jazz“ ganz wegzulassen. Aber der Grafiker hat den „New Jazz“ wegen der „optischen Spannung“ ganz klein wieder reingeschmuggelt.
In den vergangenen Jahren gab es ohnehin kaum noch Jazz in Moers.
Du kannst weiter zurückschauen. Wir haben bereits 1974/75 überlegt, ob wir auf das Wort „Jazz“ völlig verzichten und das Ereignis „International New Music Festival Moers“ nennen sollen. Es hat sich trotzdem über die Jahre gehalten, weil die Marketing-Leute auf dem Schriftzug „New Jazz Festival Moers“ als Markenzeichen bestanden. Inzwischen ist die Entscheidung gegen den Begriff „Jazz“ oder „New Jazz“ gefallen, weil es Etikettenschwindel wäre, ihn beizubehalten. Heute weiß sowieso keiner mehr, was „zeitgenössischer Jazz“ ist. Das ist ein Konglomerat von immer vielfältigeren Einflüssen. Man muß diese Schublade endlich loswerden.
In der Szene hat sich viel geändert, oft auch zum Schlechten. Was sich während der Siebziger in den Lofts abspielte, hat sich in New York, Chicago oder San Francisco in feine Restaurants verlagert, in denen die Leute von damals im Tuxedo und mit Krawatte Dinner- Musik machen. In New York ist von den Lofts nur noch das von Jim Staley und David Weinstein betriebene „Roulette“ übriggeblieben. Es ist der letzte lebendige Platz, an dem sich Dinge aus dem Bereich zeitgenössischer Musik in der Konfrontation mit der Improvisationsmusik entwickeln. Die vielgerühmte „Knitting Factory“ hat nichts von alledem, obwohl uns geschicktes Marketing dies weismachen will. Dort werden nur Bands für einzelne Gigs gebucht, aber in der Knitting Factory wird nichts entwickelt oder gezielt vorangetrieben.
Und in Moers?
Sag mir's, wenn am Pfingstmontag auch für dich alles vorüber ist. Interview: Werner Stiefele
23. Moers Festival, 20. bis 23. Mai, Stadtpark Moers. Kostenloses Camping neben dem Festivalgelände im Freizeitpark Moers. Schlafsack-Übernachtung in Turnhallen kostet eine Mark pro Nacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen