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Ein Denkmal empört Berliner Provinzpolitiker

In Berlin-Steglitz bemüht sich eine große Koalition von „Republikanern“ bis FDP vergeblich, ein Denkmal für die ermordeten Juden des Bezirks zu verhindern / Doch der Senat bootete die Bezirksversammlung aus  ■ Aus Berlin Anita Kugler

Der CDU- und FDP-Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung von Steglitz in Berlin geht es wie dem Zauberlehrling bei Goethe. Die Geister, die er rief, wurde er nicht mehr los. Auch die konservativen Parlamentarier würden am liebsten ihre Geister wieder in den Orkus schicken, aber dafür ist es zu spät. Ihr Alptraum sind vier Abgeordnete der Reps, die man zwar nicht leiden kann, die man aber brauchte, um in immer neuen Anläufen einen unbequemen und deshalb ungeliebten Denkmalsentwurf für die Opfer des Holocaust vom Tisch zu wischen.

Am Mittwoch abend bestand für den 200.000-Einwohner-Bezirk die allerletzte Chance, sich nicht endgültig zu blamieren. Den finalen Abstimmungstermin hatten die Parlamentarier sich selbst verordnet, nachdem im Februar der erste CDU-FDP-Rep-Versuch, das Denkmal niederzustimmen, in die Ausschüsse verwiesen wurde. Aber auch diese letzte Chance verspielte – vor vollbesetzten Zuschauerreihen – die rechts-konservative Verhinderungsgemeinschaft. Mit 24 CDU-FDP-Rep- Stimmen gegen 21 von SPD und Bündnis 90/Grüne wurde beschlossen, von einem bereits 1992 preisgekrönten Entwurf für ein „Denkzeichen“, zur Erinnerung an die aus Steglitz während der Nazizeit deportierten und ermordeten Juden, nachträglich „ersatzlos Abstand zu nehmen“. Ähnliches hat sich in Berlin noch niemals ereignet. Denn ein prämiertes, finanziell abgesichertes und durch eine eigens vom Bezirk eingesetzte Arbeitsgruppe in einem demokratischen Verfahren verabschiedetes Projekt wird üblicherweise realisiert. Daß der Bezirk sich aber trotzdem verweigerte und ungeachtet von Mölln, Solingen und Lübeck dabei die Koalition mit den Reps nicht scheute, zeigt, wie tief die Schamgrenze gesunken ist. Und vor allem, wie sehr man immer noch darauf bedacht ist, den Völkermord als anonymes Ereignis erscheinen zu lassen, obwohl das Schreckliche in der eigenen Nachbarschaft ihren Anfang fand.

Der eigentliche Grund, warum der Bezirk das Denkmal partout nicht will, ist, daß es mit Namen, Geburtsdaten und Adressen an die ermordeten Nachbarn erinnert. Der Entwurf des Kreuzberger Architektenduos Joachim von Rosenberg und Wolfgang Göschel sieht eine 9 m lange und 3,50 m hohe Spiegelwand vor, auf der die Steglitz betreffenden Berliner Transportlisten eingraviert sind. Wer einen der 2.000 Namen lesen will, sieht auch das eigene Gesicht, und vielleicht stellt sich die eigene Adresse als die eines Deportierten heraus. Diese Konkretion schmerzt und widerläuft allen Verdrängungs- und Relativierungsversuchen. Betont wird diese Unvergleichbarkeit durch zusätzliche Bild- und Texttafeln. Darunter mit einem Zitat des Chefanklägers der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, Robert Kempners, der von 1900 bis zur Flucht 1935 in dem von Steglitz mitregierten Stadtteil Lichterfelde gelebt hatte.

Aber so ein Dokumentationszeichen war für die Bezirksmehrheit nicht akzeptabel. Mit den abstrusesten Argumenten fochten sie dagegen – zuletzt vorgestern abend. Das Denkmal sei viel zu groß, passe architektonisch und künstlerisch nicht auf den Wochenmarkt des Hermann-Ehlers- Platzes, könne von „rechten oder linken Vandalen“ (so der FDP- Fraktionsanführer) besudelt werden, sei ein Totenmal, das das frühere lebendige jüdische Leben nicht berücksichtige, oder ganz orginell die Reps: Man bräuchte ja eine Leiter, um die ganz oben eingravierten Namen auch lesen zu können. Sehr viel schöner und „nachdenkenswerter“ fanden die CDU- und FDP-Politiker daher ihren selbst ausgedachten Gegenentwurf zum preisgekrönten Wettbewerbssieger: eine Hinweistafel auf die ehemalige und heute durch Neubauten versperrte Privatsynagoge Wolfenstein nahe des Hermann-Ehlers Platzes. Dessen Geschichte sollte, angereichert durch ein rechte und linke Extremisten gleichsetzendes Zitat Richard von Weizsäckers für die Zukunft vor jeglichem Terrorismus warnen.

Daß der eilends beigebrachte Alternativvorschlag aber trotz dieser Bemühungen keine Chancen hat, jemals verwirklicht zu werden, liegt daran, daß Berlin Hauptstadt ist. Denn die ganze stundenlange Debatte im Bezirksparlament – und alle Beteiligten wußten dies – war nur eine einzige Spiegelfechterei. Die Spiegelwand der beiden Künstler wird trotzdem gebaut, gegen den ausdrücklichen Willen der CDU-FDP-Rep-Mehrheit, auf Anordnung von höchster Stelle. Von Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) und mit Billigung der großen Koalition im Abgeordnetenhaus. Er zog Mitte April die Notbremse, weil die Gefahr bestand, daß mit dem Steglitzer Theater das „Ansehen der Hauptstadt geschädigt wird“. Der Bezirk erhielt deshalb ein Ultimatum. Sollten die Stadtverordneten sich nicht bis zum 2. Mai für den preisgekrönten Entwurf entschieden haben, würde er das Verfahren an sich ziehen und es verwirklichen lassen.

Die Chance, das Gesicht zu wahren, ließ Steglitz ungerührt verstreichen. Nagel habe „totalitäre Allüren“ (die Reps), „vergewaltige den Bezirk“ (FDP), sei einer „Kampagne der Medien“ aufgesessen, so die CDU. Statt über die Verhinderungskoalition noch einmal nachzudenken, blätterten sie in Gesetzbüchern, um zu prüfen, ob eine Klage gegen den Chef aussichtsreich wäre. Ist aber nicht, berichteten sie vorgestern verärgert. Deshalb wird die Spiegelwand nach inzwischen zweijährigem Gezänk bis Ende des Jahres am Hermann-Ehlers-Platz stehen. Und die CDU- und FDP-Bezirksmatadore werden vielleicht Goethe lesen. Die Geschichte vom Zauberlehrling.

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