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Machtkampf in der FSLN

Stehen Nicaraguas Sandinisten vor der Spaltung? Auf ihrem Sonderparteitag wird es hoch hergehen, denn es steht viel auf dem Spiel  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Auf dem außerordentlichen Parteitag der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN), der morgen in Managua beginnt, wird für die Partei einiges auf dem Spiel stehen. Es geht nicht nur um die Erneuerung der Führungsriege, wie es im Vorfeld hieß, sondern um das Überleben der Partei. Noch immer ist sie die größte und bestorganisierte politische Organisation Nicaraguas. Aber an ihrer Fähigkeit, die Macht erneut zu übernehmen, muß allmählich ernstlich gezweifelt werden.

Zwei rivalisierende Gruppierungen innerhalb der Partei haben sich in den letzten Wochen regelrechte Schlammschlachten geliefert. Eine Spaltung der Organisation ist mehr denn je in den Bereich des Möglichen gerückt. Beschimpfungen, wie sie während der Fraktionskämpfe im Untergrund vor zwanzig Jahren höchstens in internen Schmähschriften geäußert wurden, tauscht man jetzt in aller Öffentlichkeit aus. Der Dissens zwischen der „Mehrheitsströmung“ und der „demokratischen Linken“ ist so tief, daß es sich schwerlich um taktische Scheingefechte handeln kann. Wenn am Vorabend des Parteitages dennoch keine allgemeine Katastrophenstimmung ausgebrochen ist, dann deshalb, weil es den Sandinisten jedenfalls bisher immer gelungen ist, im letzten Moment doch die Einheit zu bewahren.

Genau fünfzehn Jahre ist es her, daß sich insgesamt drei rivalisierende Strömungen der FSLN zur Offensive gegen die Somoza-Diktatur zusammenschlossen. Nur vereint, so gaben sich die Comandantes im März 1979 überzeugt, würden sie die Nationalgarde des verhaßten Diktators besiegen können.

Die beiden Fraktionen – eine auf dem Lande operierende Gruppierung unter Tomas Borge, dem ältesten der „Revolutionskommandanten“, und die sogenannten „Proletarier“, eine städtische Bewegung – die sich vier Jahre zuvor voneinander gespalten hatten, ordneten sich der von den Brüdern Daniel und Humberto Ortega angeführten sogenannten „dritten Gruppierung“, den Terceristas, unter. Letztere, auch „Aufstandstendenz“ genannt, hatte eine Allianz mit dem Bürgertum geschmiedet. Ein Aufstand in den Städten schien ihr der einzige Weg zum Triumph über Somoza.

Wenig später ergriff der Diktator die Flucht, die Nationalgarde geriet in Panik und löste sich selbst auf. Seither beanspruchen die Terceristas eine Art moralischer Vorherrschaft innerhalb der FSLN. Humberto Ortega als genialer Militärstratege kommandierte die Endoffensive und baute später die sandinistische Armee auf. Sein Bruder, der geschickte Politiker Daniel, übernahm den Vorsitz in der Revolutionsjunta und wurde schließlich Nicaraguas Staatspräsident.

Daniel Ortegas Führungsanspruch blieb so lange unumstritten, wie die Revolutionäre an der Macht waren. Tomas Borge, der als Veteran eine Art natürliches Anrecht auf die Präsidentschaft zu haben glaubte, mußte seine Ambitionen immer wieder zügeln – im Namen der Einheit. Doch seit der Wahlschlappe der FSLN im Februar 1990, die nicht nur die Parteiführung, sondern auch die Basis völlig unvorbereitet traf, ist es kein Geheimnis mehr, daß schwere Fehler begangen wurden. Öffentliche Kritik an den Comandantes konnte nicht mehr länger als „Verrat an der Revolution“ verpönt werden.

Die Niederlage kam so unerwartet, daß beispielsweise noch niemand auf den Gedanken gekommen war, die Eigentumstransaktionen, die nach dem Sturz Somozas vorgenommen worden waren, auch rechtlich abzusichern. So wohnten die meisten Comandantes und viele Regierungsfunktionäre, die vorher nichts besessen oder während des jahrelangen Untergrundkampfes alles verloren hatten, in requirierten, von Somozas Günstlingen zurückgelassenen Häusern. Tausende von Agrarreform-Titeln, die Campesino-Familien und Genossenschaften erstmals eigenes Land verschafft hatten, waren nicht ins Grundbuch eingetragen und daher juristisch anfechtbar.

Um zu retten, was zu retten war, wurde während der beiden Monate zwischen der Wahlniederlage und der Amtsübernahme durch die neue Regierung noch schnell eine Anzahl von Grundstückstiteln abgesichert. Doch bis heute herrscht in der Parteibasis Unklarheit darüber, welche Häuser, Liegenschaften und Unternehmen als materielle Basis einer bis dahin mittellosen Partei dienten und wieviel davon sich einzelne Funktionäre zur privaten Bereicherung unter den Nagel gerissen haben. Diese Piñata, so benannt nach der mit Süßigkeiten gefüllten Krepp- Papierfigur, auf die auf Kindergeburtstagen so lange eingedroschen wird, bis sich der Inhalt auf den Boden ergießt – hat die ganze Partei diskreditiert und bei der Basis eine schwere Vertrauenskrise ausgelöst. Weder das Nationaldirektorium noch die sogenannte Ethikkommission haben bisher glaubwürdige Erklärungen geliefert oder Schuldige beim Namen genannt.

Um die Aufklärung dieser Piñata, um das Verhältnis zur Regierung Chamorro, um die Bündnispolitik der Partei und das neue Verhältnis zu den USA geht es unter anderem auf diesem außerordentlichen Parteitag, der einberufen wurde, um die FSLN aus der Krise zu führen. Eine Krise, die auf dem ersten Parteikongreß vor drei Jahren nur übertüncht worden war.

Damals hatte sich die orthodoxe Linie Daniel Ortegas durchgesetzt und mit einer Einheitsliste für die Wahl zum Nationaldirektorium jede Infragestellung der historischen Revolutionsführer verhindert. Doch bald danach begannen die Meinungsverschiedenheiten. Und in den letzten Monaten artikulierten sich zwei Strömungen, die mit den „historischen drei Tendenzen“ nichts mehr gemein haben.

Die „Demokratische Linke“ von Daniel Ortega will den Sandinismus auf seine „proletarischen Ursprünge“ zurückführen und die straffe, hierarchische Organisationsstruktur wiederherstellen. Der „Sandinismus für die Mehrheiten“ verficht eine innere Demokratisierung der Partei und sucht unter den Zentrumsparteien Bündnispartner für die Wahlen 1996. Der ehemalige Vizepräsident Sergio Ramirez, der als Fraktionschef im Parlament täglich Kompromisse aushandeln muß, wird als Chef dieser Strömung betrachtet.

Am Wochenende gibt es erstmals geheime Wahlen, in denen die 600 Mitglieder des Parteikongresses individuell über die neuen Mitglieder des auf 15 Personen aufgestockten Nationaldirektoriums abstimmen können. Nicht einmal für den Posten des Generalsekretärs gibt es diesmal einen Einheitskandidaten. Erst letzten Samstag hat sich Henry Ruiz entschlossen, gegen Daniel Ortega anzutreten. Ruiz, der im Krieg gegen Somoza als El Modesto, der Bescheidene, bekannt war, ist keiner Tendenz zuzurechnen und hat eine blütenweiße Weste, was die Piñata betrifft. „Modesto“ wird von der Erneuerungsfraktion unterstützt, erfreut sich aber auch großer Sympathien an der Basis.

Doch Daniel Ortega, der als bester Verbündeter Violeta Chamorros und als „Fürsprecher der Armen“ eine janusköpfige Politik betreibt, wird die Kontrolle über die Partei nicht so leicht aufgeben. Angesichts dieses Vorspiels kann man gespannt sein, ob der Parteitag wirklich die demokratische Erneuerung bringt, die die FSLN braucht, um ihre Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen.

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