Ziemlich deutsch

■ Schwarz-Rot-Gold dominierte die Abschlußfeier des Turnfestes im Volksparkstadion

Egal ob grün, rot oder lila, alle S-Bahnlinien fahren am Sonntag durch zum Volksparkstadion, randvoll mit euphorisierten Frauen mittleren Alters, die lautstark in diversen süddeutschen Dialekten über das letzte Mittagessen palavern, und an Colaflaschen nuckelnden Teenagern. Alles klappt wie am Schnürchen, die Sonderbusse des HVV karren die Stadiongäste wie am Fließband herbei. Masse ertragen, aber wie? Das oft beschworene Wir-Gefühl verursacht leichte Gänsehaut.

Die Show beginnt. „2000 Turnermusiker und Turnermusikerinnen spielen für sie“, zeigt die Leuchttafel im Stadion an, im Wechsel mit dem Turnerfest-Logo-Männchen, das an das Piktogramm eines Fruchtbarkeitstest-Fieberthermometers erinnert.

„Strömungen“ heißt das Programm, bei dem „alles, was die Turnbewegung ausmacht, verdichtet in Szene gesetzt werden soll“, wie es der Stadionsprecher aus dem Off ankündigt. Den Anfang machen die Kinder; gekleidet in einfarbige blaue, rote, grüne Kaputenanzüge illustrieren sie das Lied „Unsere Heimat ist ein kleiner blauer Stern“.

Soweit der Internationalismus. Es folgt der Aufmarsch der blau-lilanen Turnerinnen aus den Rängen, die vier auserwählte Trampolinspringer-Paare in die Mitte heben. Auch die Show der Rhönrad-Turnerinnen, die die riesigen weißen Metallrollen mit Frauenkraft über die Sandbahn rollen, ist beeindruckend.

Doch schon füllen sich die Aufgänge in den Rängen mit Gymnastik-Damen, gekleidet in agressives Schwarz, Rot, Gelb. Fahnenschwingen, Seilspringen zu hunderten auf der Wiese, alles ganz synchron. Der Regen hat keine Gnade mit den Damen, die doppelte Kraft aufbringen müssen, um die nassen gelben Seidenbänder durch die Luft zu schwingen. Doch die Choreografie hat Petrus' Zorn mit eingeplant, kurz vor dem finalen Deutschlandlied verschwinden die Turnerinnen unter einem Meer von roten Regenschirmen.

Alle Zuschauer erheben sich, der ältere Mann auf dem Nebensitz ermahnt die Turnfestkorrespondentin, der Masse zu folgen. Es ist eine deutsche Veranstaltung. Immerhin ein paar Pfiffe, bevor Innenminister Manfred Kanther zu diesem „wunderbaren Fest“ gratuliert das „Menschen aller Nationen, Behinderte wie Nichtbehinderte“ zusammengebracht habe. Sein Redenschreiber irrt, es hätte heißen müssen: Hamburger und Nichthamburger.

Der bissige Kommentar einer jungen Bayerin läßt ahnen, daß daheim nicht nur positiv über die nordischen Metropolenmenschen berichtet wird. Auf die Frage ihres Weggefährten, warum denn in Hamburg soviele Bestattungsunternehmen Werbung machen, mutmaßt sie: „Wahrscheinlich werfen die sich hier alle vor die U-Bahn“ Kaija Kutter