: Vibrator trieb Nullen zum Höhepunkt
Fortuna Unglück aus Gelsenkirchen triumphierte, aber die Aachener Roten Nullen gewannen hattrickös die Deutsche Meisterschaft der Alternativfußballer ■ Aus Bremen Bernd Müllender
Da waren sie wieder zusammengekommen. Wie jedes Jahr zu Pfingsten, diesmal an der Weser beim erstklassigen Ausrichter Roter Stern Bremen: die Dynamos, Partisanen, Roten Beete, Bunten Stürme, Letztschichtler, Finsterlinge, Bongos, Betonunionisten, das Kick and Rush Orchestra und Solist Vialli, Wildcard-Inhaber auf Lebenszeit und neuerdings auch stolzer Besitzer des „Goldenen Alternativ-Kickstiefels“. Es wehte die angeblichene Che-Fahne, Plakate gegen Rechts, die schwarze Totenkopf-Flagge, und alle verbreiteten Stimmung wie in Woodstock und Kampfgeist wie in Brokdorf. Nur daß es um Fußball ging. Und die Kicker der 24 Teams sausten und stolperten umher, um gelegentlich den Ball füßelnd zu treffen und zum achtenmal den Meister der alternativen Bunten und Wilden Ligen zu ermitteln.
Alle ein Jahr älter, die Haare bestenfalls grauer (sonst weniger), manche im Mittelbau noch einen Zentimeter umfangreicher, so daß die Leibchen an des Mannes Problemzone bisweilen ästhetikarm spannten. Ausnahme allein: Nürnbergs Flamengo-Liberolegende Wenz, der von 30 verlorenen Pfunden berichtete.
Petermanns Enkel (Turnierdritter) verwiesen auf ihre methusaleminösen gut 37 im Altersschnitt, mit denen sie Ewigkeitsrivalen Partisan Eifelstraße aus Aachen (Sechster) kokett zu Junioren zu degradieren versuchten. Die Aachener konterten mit ihrer traditionell detaillierten Internstatistik, die 35,117 Jahre der 17 Aktiven mit zusammen 3.873 Buntligaspielen in den Kreuzbändern und 1.528 Treffern daselbst belegte. Dazu intonierte der Meister 1991 einen selbstkomponierten wie selbstironischen Ohrwurm, ein fetziger Abgesang auf alte Glanztage, in dem bekundet wurde, man sei „too old to rock 'n' roll“, aber „noch viel too young to die“. Aber Gegner, hört die Signale: „Doch die dritte Halbzeit — die verlier'n wir nie.“ Da wußten die Partisanen allerdings noch nicht, was ihnen am Abend des ersten Turniertages in einer Bremer Pizzeria blühte, wo sie mehr als vier Stunden nahezu vergebens auf Speis und Trank harrten. Der historischen ersten Dritthalbzeit-Niederlage folgte aufgrund fortgeschrittener Aushungerung das Ausscheiden im Viertelfinale am nächsten Morgen.
Bei Bunter Sturm Bremen wurde zwar gut gegessen, aber ebenfalls anglizistisch argumentiert. Aus der Halbzeitbesprechung: „Jungs, wenn der worst case eintritt, also der Gegner den Ball hat...“ Der worst case kam vor, sehr oft, immer wieder und überall, wenn er viel zu schnell den better case des eigenen Ballbesitzes ablöste, der aber postwendend wieder erschöpfungsbedingt vom worse und worst case abgelöst wurde...
Trotz aller Alterserscheinungen drückte erstmals die Jugend dem Turnier der Ergrauenden ihren Stempel auf. Da war Farina, Bremer Erstkläßlerin, die mit dem unwiderstehlichen Charme gerade beginnender Lesekundigkeit bei der Gruppenauslosung die Namen der 24 Teilnehmerteams verlas. Dabei schaffte die kleine Strolchin wunderschöne Neubetonungen („Mies Mack Gieli Guli Spro-Eck- Ho-E-Fell“), die zu tosendem Applaus und dem schließlich unvermeidlichen Finalissimo führten: „Wie Wie Wahnderers Du-Iss- Burg“. Da war es wieder, das Du- Iss-Burg des DFB-Kristallschüssel-Magiers Walter Baresel aus den frühen siebziger Jahren. Farina wurde sofort zu Waltraud Baresel ehrenhalber ernannt.
Auch in den Strafräumen triumphierte stellenweise die Jugend. Die Ballartisten von Gelsenkirchens Fortuna Unglück (Meister der sportlichen Haltung ausm Revier) hatten innerfamiliär rechtzeitig mit der Jugendarbeit begonnen, so daß zwei mittvierziger Flügelflitzer erstmals ihre beiden Söhne Max (12, 13) in den Sturmwirbel integrieren konnten. Vorletzter (23.) wollten sie bei der Erstteilnahme werden, die erwarteten Niederlagen sollten knapp ausfallen, drei eigene Tore waren Minimalvorgabe, von einem Unentschieden träumten sie. Dann zauberten die Väter und Söhne im Sturm, allen voran Spiggi Spiegelberg, motiviert durch den exklusiv verliehenen Unermüdlichkeitspokal des Aachener Buntligisten Juventus Senile, am letzten Turniertag gab es gar zwei gloriose Siege, Platz 21 und Glückstränen in den Augenwinkeln.
Lautstark feierten die Zuschauerinnen und Zuschauer die Pott-Sympathen selbst noch zu Beginn des Finales. Doch da trafen sich andere Gegner: Vibrator Moskowskaja, Bremens Meister im vergangenen ersten Wildligajahr, und der zweifache Titelverteidiger Rote Nullen aus Aachen. Das Problem: Beide Teams sind nicht gerade Sympathieträger. Die Aachener, weil sie nicht schon wieder, zum drittenmal in Folge, gewinnen sollten, und die recht jungen und durch Arbeit im Fahrradkurierdienst auffallend wadenstarken Bremer, weil das Gerücht umging (später energisch dementiert), sie fänden das fußballerische Niveau zu mäßig und wollten bei einem Turniersieg im nächsten Jahr mehr Wert auf Leistung legen und automatisch die Sieger der Bunten Ligen der Republik einladen.
Zudem zeigte das Endspiel, daß sich fast wie im falschen DFB-Fußball-Leben, diejenigen durchsetzen, die über die beste Physis verfügen. Kampf war Trumpf, Bälle wurden bisweilen sicherheitshalber, aber ökologisch überaus unsensibel ins frisch erknospte Gebüsch gewuchtet (Grüne Karte), manchmal bei mißglückter Szene ehrgeizgetrieben gar wüst geflucht (Braune Karte wegen Fäkalsprache). Nur zweimal gab es den bejubelten best case (zwei tolle Volleytreffer innerhalb einer Minute); im Penaltyschießen setzten sich schließlich die Roten durch. Ihr Jubel war von schlechtem Gewissen geprägt und fiel entsprechend dünn aus. Immer Erster werden langweilt auch sie selbst schon — dann lieber variabel auftreten wie das taz-Betriebssportler-Team: Zum 10jährigen waren sie Zehnter geworden, später 13. im 13. Zeitungsjahr, jetzt, trotz des unentschuldbaren, teilweise sogar unentschuldigten Fernbleibens unentbehrlicher Kräfte (Biermann, Huth, Thömmes), 16. Im 16.
Als neuer Wanderpokal wurde den Roten Nullen eine Salatschüssel aus kontrolliert biologischer Fertigung überreicht. „Vibrator trieb die Roten Nullen zum Höhepunkt“, wie es die Sieger selbst formulierten, wurde als passende Gravur vorgeschlagen. Für die Zukunft wünscht die Szene dem Wanderpokal die Chance zum Wandern und den Aachenern somit fortgesetzte fußballerische Orgasmusschwierigkeiten.
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