Solschenizyn kehrt in die Heimat zurück

■ Landung des russischen Schriftstellers in Wladiwostok nach zwanzig Jahren Exil

Moskau (AFP) – Als der russische Schriftsteller Alexander Solschenizyn am 13. Februar 1974 von den sowjetischen Behörden ausgewiesen wurde, ging ein Aufschrei der Empörung um die Welt. Mit diesem Schritt hatte die Führung in Moskau dem zwölfjährigen, zähen Widerstand des Literaturnobelpreisträgers ein Ende bereitet. Nach einem kurzen Aufenthalt in Deutschland siedelte der Autor von „Archipel Gulag“ in die Vereinigten Staaten über, wo es still um ihn wurde.

Nun, zwanzig Jahre nach seiner Ausbürgerung und zweieinhalb Jahre nach dem Zusammenbruch der UdSSR, macht sich Solschenizyn zu einer langen Rückreise in seine Heimat auf. Am Freitag soll er mit seiner Familie von Alaska kommend in Wladiwostok im äußersten Osten Rußlands eintreffen.

Etappenreise nach Moskau

Von dort aus will Solschenizyn in Etappen mit dem Zug nach Moskau reisen, um die Veränderungen in Rußland nach dem Ende der kommunistischen Ära vor Ort zu erfahren und am eigenen Leib zu erleben.

Der 75jährige Schriftsteller, der bereits am Mittwoch sein Haus in Cavendish in den Wäldern von Vermont für immer verlassen wollte, kehrt nach eigenem Bekunden vor allem aus einem Grund nach Rußland zurück: Um in seiner Heimat als freier Mann zu sterben. Doch der ehemalige Dissident will seine letzten Lebensjahre auch dem Wiederaufbau Rußlands widmen, das nach seinen Worten von Korruption, wirtschaftlichem Chaos und der Mafia zerfressen ist. Mit seiner Frau Natalia, zwei seiner Söhne sowie einer Schwiegertocher soll Solschenizyn am Freitag nachmittag mit dem Flug 201 der Alaska Airlines in Wladiwostok eintreffen.

Um jenes Rußland, das aus den Trümmern der Sowjetunion hervorgegangen ist, besser verstehen zu können, entschloß sich der Schriftsteller zu einer Heimreise in Etappen. Vor seinem Eintreffen in Moskau will er Sibirien, den Ural und einige andere russische Regionen besuchen - möglicherweise auch die alten Lager des Gulag. Im äußersten Osten Rußlands befanden sich einige der schlimmsten Straflager. Dorthin wurde auch der ehemalige Offizier der Roten Armee 1945 für elf Jahre verbannt, weil er sich über Stalin lustig gemacht hatte.

Verstärkung für den Nationalismus?

Solschenizyn wartete nach dem Zusammenbruch der UdSSR im Dezember 1991 zweieinhalb Jahre mit seiner Heimreise. Die von Präsident Michail Gorbatschow eingeleiteten Reformen betrafen den Schiftsteller zunächst nur indirekt. Zwar wurden seine Bücher ab 1989 in der UdSSR veröffentlicht und er bekam ein Jahr später die sowjetische Staatsbürgerschaft zurück, doch blieb eine Anklage wegen „Landesverrats“ zunächst bestehen. Sie wurde erst im September 1991 aufgehoben.

Den Vereinigten Staaten dürfte der russische Schriftsteller ohne Bedauern den Rücken kehren. Die Jahre seines Exils in Cavendish waren geprägt von gegenseitigem Unverständnis. Die kleine Ortschaft in Vermont hatte Solschenizyn als Zuflucht gewählt, weil die Birkenwälder und langen Winter ihn an Rußland erinnerten. Solschenizyn wurde nicht müde, Oberflächlichkeit und Profitdenken in den USA zu kritisieren und stieß damit so manchen vor den Kopf.

In Rußland herrscht derweil Unsicherheit darüber, welche Rolle der ehemalige Dissident einnehmen könnte. Seine anti-westlichen Ansichten sowie seine Äußerung, die russischen Grenzen müßten unter Einschluß des nördlichen Kasachstan, Teilen der Ukraine und Weißrußlands neu definiert werden, ließen die Befürchtung aufkommen, Solschenizyn könne vor allem nationalistischen und konservativen Kreisen in die Hände spielen. Andere politische Kommentatoren hoffen dagegen darauf, der Schriftsteller könne zum „Gewissen Rußlands“ werden.