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Kleine Fächer, kleine Lobby

■ Die Kehrseite des rigorosen Personalabbaus an der Humboldt-Universität: Bei den kleinen Fächern der Asien- und Afrika-Wissenschaften ist durch fehlendes Personal die gesamte Lehre gefährdet

Die Enttäuschung ist Michael, Student am Fachbereich Asien- Afrika-Wissenschaften der Berliner Humboldt-Universität, anzusehen. „Da bin ich extra von der FU hierhergekommen, um eine pragmatische und breitgefächerte Ausbildung zu bekommen. Gerade dieser Fachbereich hatte einen guten Ruf und Lehrangebote, von denen man im Westen nur träumt. Und nun weiß ich nicht einmal, ob ich mein Studium überhaupt noch zu Ende führen kann!“

Während nach außen der Eindruck erweckt wird, die personelle Erneuerung in der Lehre sei nahezu abgeschlossen und die Humboldt-Universität voll im wissenschaftlichen Aufschwung, ist die Realität insbesondere bei den kleinen Fächern gänzlich anders. In den letzten vier Jahren wurden immerhin 3.500 Mitarbeiter, mithin also ein Drittel, entlassen. Die Leidtragenden solch brachialer Sparpsychosen sind vor allem die Studenten. „Der Fachbereich Asien-Afrika-Wissenschaften ist ein Extrembeispiel für Stellenabbau, Studentengefährdung und Beseitigung von Studiengängen“, meint Stefan Meyer, studentischer Vertreter im Akademischen Senat. Von 24 bestätigten Professuren sind ganze zehn bisher besetzt worden, für zwei weitere laufen gerade die Berufungsverhandlungen. Für die Studis heißt das: im Wintersemester können Pflichtveranstaltungen nicht mehr gehalten werden, steht kein Prof mehr zur Betreuung von Magister- oder Diplomarbeiten zur Verfügung, und die Prüfungen können nicht mehr fachlich kompetent abgenommen werden. Dolmetscher für Chinesisch und Japanisch haben keine Sprachlehrer mehr, Studenten der Turkologie und Südasienwissenschaften stehen vor verschlossenen Türen.

Denn alle „nichtbenötigten“ Lehrkräfte aus dem Osten erhielten nun ihren blauen Brief. Spätestens ab Ende des Sommersemesters müssen sie die Universität verlassen. Kündigungsgrund: kein Bedarf. Ein Witz, sind doch von dieser Roßkur am Fachbereich mindestens 360 Studenten betroffen. Gleichzeitig werden auch bisher bestätigte Lehrstühle nicht besetzt. Für anerkannte Studiengänge des Fachbereiches, wie Vietnamistik, Mongolistik, Tibetologie und die Koreanistik kann diese Praxis das vorzeitige Aus bedeuten. „Nur aus Geldmangel werden diese Lehrstühle vorerst nicht besetzt“, versucht Susanne Morgner zu beschwichtigen. „Der Senator stellt die Berufungen zurück, um sie später nachzuholen.“

Wie gut, daß als Entschuldigung immer noch der schnöde Mammon herhalten kann. Allerdings stimmt dieses Argument hier nicht ganz. Immerhin sind bestätigte Professuren auch immer mit entsprechenden Mitteln im Haushaltsplan versehen. Bekannt ist jedoch, daß gerade Wissenschaftssenator Manfred Erhardt für die sogenannten „Exotenstudiengänge“ nicht allzu viel übrig hat. Zu teuer und zuwenig prestigeträchtig sind sie dem Senat.

Bereits im November vergangenen Jahres legte Erhardt ein „Fusionspapier“ auf den Tisch, das vorsah, die kleinen Fächer der drei Berliner Universitäten zusammenzulegen, um Geld zu sparen. Unberücksichtigt blieb dabei die sehr unterschiedliche Ausrichtung der einzelnen Institute. Während der Studiengang „Südasien“ beispielsweise an der Humboldt-Uni eine umfassende Ausbildung anbietet, die sowohl Sprachausbildung als auch Religion, Politik und Ökonomie umfaßt, beschränkt sich der Studiengang an der FU vor allem auf Altertumsforschung.

Erhardts Vorschlag kam jedoch nicht durch, noch nicht. „Das Fusionspapier ist noch lange nicht vom Tisch. Unsere Studiengänge sollen weg. Wenn keine Professoren mehr da sind, kann auch niemand die bis zum nächsten Jahr auszuarbeitenden Studien- und Prüfungsordnungen gestalten. Keine Studienordnung heißt aber auch: keine neuimmatrikulierten Studenten mehr, und dann hat sich die Ausbildung erledigt“, ist sich Dr. Helga Sinh-Meyer vom Vorderasiatischen Institut sicher.

Besonders prekär ist die Situation jedoch für die Beschäftigten im wissenschaftlichen Mittelbau, die zum großen Teil die Lehre abdecken. Der Senator hat im Kuratorium die Faustregel durchgesetzt, maximal 20 Prozent unbefristete Stellen und 80 Prozent befristete einzurichten.

Die Idee, die dahintersteht: immer mehr junge Wissenschaftler sollen die Möglichkeit zu einer Qualifizierung erhalten. Für den Fachbereich Asien-Afrika jedoch wirkt sich dieses Verhältnis besonders hart aus. „In den kleinen Fächern ist ein wissenschaftliches Stammpersonal dringend nötig, denn ein gut ausgebildeter Vietnamist benötigt schon seine zehn Jahre, um sich zum Spezialisten zu qualifizieren. Die findet man nicht so leicht wie einen Betriebswirtschaftler“, erklärt Prof. Wilfried Lulei von der Vietnamistik.

Gerade die kleinen Fächer der Berliner Humboldt-Universität sind in ihrer Ausrichtung einzigartig in der bundesdeutschen Hochschullandschaft. Aber was im Westen nicht ist, darf auch im Osten nicht sein. Da bedient man sich dann auch schnell politischer Argumente. „Uns wird unterstellt, die Erneuerung der Hochschule nicht voranzutreiben. Woran das der Senator mißt? An der zahlenmäßigen Überpräsenz von Ostdeutschen“, meint Prof. Klaus Timm vom Lehrgebiet Internationale Beziehungen in Asien und Afrika. Das Problem ist nur, die Spezialisten dafür kommen nun einmal aus dem Osten, einen Studiengang Vietnamistik beispielsweise gibt es an keiner anderen Hochschule im Bundesgebiet. Woher also die Westimporte nehmen?

Für Michael steht jetzt schon fest: „Sollte hier nicht schnell etwas passieren und die Kündigungen rückgängig gemacht werden, bleibt mir wohl nur, wieder an eine andere Hochschule zu gehen.“ Anja Nitzsche

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