Glamour als Überlebensmittel

Dandy im Regiestuhl, Angehöriger einer verlorenen Kultur, Erfinder des Gangsters als mythischer Kinogestalt, zugleich Erfinder eines ganz eigenen Genres: Am Sonntag wäre Josef von Sternberg 100 Jahre alt geworden  ■ Von Georg Seeßlen

Josef von Sternberg – das „von“ hat ein eifriger Produzent bei seinem ersten Leinwand-Credit eingefügt, und Sternberg ließ es dabei – war der Dandy im Regiestuhl, gewandet wie aus einer vergangenen Zeit als Angehöriger einer verlorenen Kultur. Er war der Mensch, der die unbegrenzten Möglichkeiten des Landes, in dem er lebte und arbeitete, (unter anderem) dazu nutzte, sich nicht nur eine eigene Bildwelt zu erfinden, sondern auch sich selbst.

Josef Mankiewicz hat von ihm gesagt: „Er kauft seine Anzüge für den Mann, der er sein möchte, das heißt ungefähr drei Nummern zu groß. Er steigt mit einer Leiter in die Hose und machte drei Schritte, ehe der Anzug sich in Bewegung setzt.“ Das klingt nur im ersten Augenblick wie pur böser Sarkasmus, in Wahrheit beschreibt es eine besondere Form der Identität, in der die Anmaßung danach strebt, wahrhaftige Eleganz zu werden.

Bei kaum einem Regisseur des Hollywood-Films ist so offen das Autobiographische als konkreter Reflex zu verfolgen, die materielle Bedingung des Exotischen, die Produktion von Glamour als Überlebensmittel. Josef von Sternberg steht nicht in der Konvention der populären Mythologie; er ist sein eigenes Genre. Wien ist das Zentrum einer magischen Autobiographie, ein Traum-Wien als Kulmination eines Traum-Europa, einer Traum-Kultur, die die Eleganz des Untergangs mit der Vitalität unsterblicher Gassen-Vulgarität verbindet.

Der Ursprung einer langen Suche nach dem vollendeten Bild mag, in traditionell psychoanalytischer Sicht, in den Prügeln, der Demütigung und Zurückweisung durch einen rabiaten, gehaßliebten Vater liegen, der – vergeblich – in Amerika sein Glück zu machen versuchte, als die Donaumonarchie zugrunde ging. Der bizarre Glamour des Praters schien in eine Kindheit, der Glanz von Uniformen und Frauen, die als ferne Verheißung das Verworfenste und das Zarteste miteinander verbanden, die vielen Kulturen und Klassen von Kakanien schienen ein endloses Repertoire der Neugier.

Von der Nachtseite

Am einfachsten ist es wohl, die ganz direkten Lebensspuren in Sternbergs Filmen zu verfolgen. In „The Case of Lena Smith“ (1929) schildert er die Jahrmarkts- und Praterwelt, die ihn als Kind so faszinierte, und in „Der blaue Engel“ (1939) ist die Hauptfigur auch Reminiszenz an ein Monstrum von Lehrer, unter dem Jonas Sternberg, das jüdische Kind, gelitten hat. Immer wieder gibt es in der so synthetischen Welt der Sternberg- Filme ganz direkte Erinnerungen und Bilder von wirklichen Menschen, und immer scheinen sie von der Nachtseite zu kommen.

Das Leben ist eine Vertreibung, es steckt voller falscher Hoffnungen. Mit sieben Jahren folgt Sternberg mit der Familie dem Vater nach Amerika, drei Jahre später kehren sie desillusioniert nach Wien zurück. Und wieder verläßt der Vater die Familie in Richtung USA. Vierzehnjährig kommt auch Sternberg wieder nach New York, muß bald zum Lebensunterhalt der auseinanderbrechenden Familie beitragen, arbeitet in einem Putzmachergeschäft, wird arbeitslos und treibt durch New York. Durch Zufall macht er Bekanntschaft mit dem Film; er beginnt mit dem Reinigen von Filmmaterial, wird illegaler Vorführer und Reparateur von gerissenen Filmen. Josef von Sternbergs Zugang zum Film ist technisch, materiell.

Er lernt dann als Regieassistent das Metier kennen. Seinen ersten eigenen Film, „The Salvation Hunters“, dreht er 1924 mit gespartem Geld. Es geht um einen Mann, eine Frau und ein Kind, die dem Elend des Subproletariats vom Hafen in Los Angeles zu entfliehen trachten. Ein Zuhälter, bei dem die Notgemeinschaft der magischen Familie Zuflucht findet, wird zu ihrem Gegner, und nachdem sie sich gegen ihn zur Wehr gesetzt haben, wandern sie, viel optimistischer, als es ihre Lage erlaubte, kräftigen Schritts in eine bessere Zukunft. Sternberg überblendet das materielle Elend ins Melodramatische, dorthin, wo man sich durch die Geste befreien kann. Mit diesem Film, den Chaplins United Artists herausbrachte, wurde von Sternberg, wie man so sagt, über Nacht berühmt.

Aber gleich darauf häuften sich die Fehlschläge, und der einzige Film, den Chaplin je einem anderen Regisseur anvertraute, „The Sea Gull“, wurde nie öffentlich vorgeführt. Noch so ein geheimnisvolles Loch in der Filmgeschichte!

Produktion des Außenseiters

Das Elend der kleinen Leute spielt in Sternbergs Filmen eine so große Rolle, daß wir den Glamour und die Pose als die heftigste Gegenreaktion verstehen. Und Sternberg „erfindet“ den Gangster als mythische Gestalt, die in ihrer melodramatischen Pose selber die Transformation vom Elend zum Glamour vornimmt. Der Sternberg- Gangster läßt sein Leben, indem er seine Nachtwelt gegen die Wirklichkeit verteidigt. Und diese Gestalt, wie George Bancroft in „Underworld“ (1927) und „Thunderbolt“ (1929), ist einer Halbweltfigur des Praters nicht unähnlich, unwirklich und vulgär. Die Liebe und der Kampf kommen sich stets in die Quere, Sternbergs Heldinnen und Helden verlieben sich immer in Menschen der Gegenseite und liefern sich dadurch aus.

Leicht also sind wiederkehrende Motive in Sternbergs Filmen auszumachen: die immergleiche Bewegung der verfehlten Selbsterlösung in der Pose, die auf die Verblendung der Liebe folgt, die Sehnsucht nach einer magischen Einheit und das Zerbrechen der Gemeinschaften, die Produktion des Außenseiters, die Konstitution einer Unter- oder Gegenwelt der Nacht, die Liebe, die die Falschen trifft, und die Falschheit, die die Liebe auslöst.

Eine Stufe tiefer geht es für alle Sternberg-Helden darum, sich eine Bühne für den großen Auftritt zu schaffen, in dem sie sich selbst erst zu erfinden versuchen. Und wie die heftigen Konflikte, Verrat und Opfer, vielleicht nicht mehr als Vorwand sind für die Inszenierung des großen Auftritts für Menschen, die, mehr als ihrem materiellen Elend, ihrer Eigenschaftslosigkeit zu entkommen trachten, so ist, noch einmal tiefer, wohl auch für den Regisseur diese dramaturgische Konzeption nichts anderes als Vorwand, um zur reinen Form der Cinematografie zu gelangen: zu einem Bild, das in seiner Inszenierung ganz und gar vergißt, daß die Welt aus nichts als Gewohnheit, Gewalt und Sehnsucht zusammengesetzt ist.

Das Sternbergsche Kino-Bild in Bewegung bekämpft solange alles Konventionelle und Zufällige, alles Geschichtliche und Biographische, bis es so rein geworden ist, daß es wahrhaft nichts mehr bedeuten kann als sich selbst. Aber auch das ist, natürlich, nur ein Trick.

Schöpfer und Geschöpf

In Marlene Dietrich, mit der er zum erstenmal bei „Der blaue Engel“ (1930) zusammenarbeitete, fand Josef von Sternberg seinen Star, der das alles schon in sich selber hatte. Es ist der Blick des Regisseurs, der aus der eher verschüchtert wirkenden jungen Schauspielerin die laszive Sängerin Lola-Lola macht. So heißt es. Jedenfalls entsteht in beinahe karikaturhafter Betonung zwischen Sternberg und Marlene Dietrich ein Mythos von Schöpfer und Geschöpf: Die Frau entsteht erst durch den Blick des Mannes. Aber Sternberg und Dietrich enttarnen dieses Spiel, weiß der Kuckuck mit wieviel Bewußtsein und Vergnügen, auch immer wieder. Der Blick mißversteht sich nur als Schöpfungsakt, und das Bild bleibt durchlässig, zu vieldeutig für die Dummheit des Blicks.

Gewiß ist dieser Professor Rath der freien Heinrich-Mann-Adaption nicht nur durch Emil Jannings dem russischen General aus „The Last Command“ verwandt, der sich in der opfernden Pose der verlorenen Liebe darbietet. Seine Tragödie, mag sie auch einem bestimmten Klassenschicksal entsprechen, liegt vor allem darin, daß er in Wirklichkeit nichts gesehen hat. Sternbergs Männer scheitern nicht, wie die Helden des puritanischen Melodrams, am Widerspruch zwischen der fatalen und der jungfräulichen Frau, sondern an der eigenen Prätention. Sie fallen nicht auf die Frau herein, sondern auf das Bild der Frau, das sie sich machen (lassen).

Was kann das Bild tun, wenn es die Leere des Blickes erfährt? Marlene Dietrich dementiert ihr Bild: In „Marocco“ (1930) ist sie eine Café-Sängerin, die einem Fremdenlegionär folgt, in „Dishonored“ (1931) eine Wiener Prostituierte, die für ihr Land zur Spionin wird, und am Ende, als sie sich in einen russischen Agenten verliebt hat, hingerichtet wird; in „Shanghai Express“ (1932) rettet sie das Leben eines früheren Geliebten, als sie von Revolutionären als Geiseln genommen werden, und in „Blonde Venus“ (1932) tritt hinter der Bartänzerin die liebende Frau und Mutter hervor.

Aber dieser Widerspruch zwischen dem Bild und der Wirklichkeit der Weiblichkeit, zwischen den Verheißungen des Glamours und der Fähigkeit zu solidarischer Gemeinschaft, ist mehr als nur eine dramaturgisch-moralische Konstruktion. Sternberg sorgt dafür, daß das Spiel der gegenseitigen Verblendungen von weiblichem Bild und männlichem Blick und, umgekehrt, von weiblichem Blick auf die männliche Produktion des Glamours, Körper, Uniform und Eleganz, nie ganz aufgeht.

Eine Art des Zerfallens prägt Sternbergs Filme nach der Zusammenarbeit mit Marlene Dietrich (die überdies davon geprägt sind, daß seine künstlerische Freiheit immer wieder beeinträchtigt wurde); sie zerfallen in Modelle des leeren Glamour und solche der ästhetischen Anmaßung. Nach „The King Steps Out“ (1936), einer Wiener Sissy-Phantasie, scheiterte das grandiose Projekt „I, Claudius“ (1937). Sternberg verlor die Kontrolle über seine Projekte, seine Motive und seine Methoden spuken mehr in den Filmen dieser Zeit, als daß sie bestimmen, aber noch bis in die bizarre Mischung von Propaganda, Komödie und erotischem Symbolismus in „Jet Pilot“ (1951) ist etwas davon zu erkennen, daß ein Sternberg-Film ganz anders funktioniert als jeder andere Film.

Svengali Joe

Sternbergs Spitzname ist „Svengali Joe“. Svengali ist in „Der blaue Engel“ ein Magier, der mit seinem hypnotischen Blick ein Mädchen in ein willenloses Geschöpf, in ein Bild verwandelt.

Die Transformation des Gegenstandes durch den Blick scheint das Bewegungsgesetz in seinen Filmen. Sie führen in eine Nachtwelt; seine Helden – Spione, Gangster, Matrosen, Tänzerinnen, Prostituierte – verkleiden sich in einem bizarren Exotismus; sie bewegen sich im Dunkeln und inszenieren sich in Kunstlicht. Das Harte ihrer Erscheinung verschwindet in der weichen Form dieser Inszenierung.

Wir sehen in Sternbergs Filmen, wie Menschen durch Licht geschaffen und verändert werden. Das Licht und die Dekoration übernehmen die Führung, die Kamera setzt sich vor die Story, die Schauspieler agieren auf einem dekoraktiv vorgegebenen, manieristisch von der Peripherie ins Zentrum drängenden „Text“ des Bildes, so wie Sternberg als Regisseur seine Schauspieler am liebsten als bloße Objekte sah. Seine Arbeit mit ihnen, selber Stoff für genügend Legenden, ist alles andere als partnerschaftlich. „Ein gewisser Sadismus wird nicht geleugnet, wenn man es für sadistisch hält, daß ein Bildhauer seinen Stein mit dem Meißel bearbeitet oder ein Musiker seinen Ton klopft oder

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walkt.“ Doch darin mag durchaus mehr im Spiel sein als eine Form der konkurrierenden, eine vielleicht in ihrer Trivialität entlarvende Eitelkeit und künstlerische Megalomanie. Sternberg untersagt seinen Schauspielern das „autobiographische“ Spiel; er will, daß die Schauspieler weder die Story noch die Absichten des Regisseurs kennen; in dem vielfältigen Spiel der einzelnen Elemente, aus denen ein Film entsteht, verachtet Sternberg nicht nur alles, was er nicht selber machen kann (er hat die Musik dirigiert, bei den Dekorationen mitgewirkt, die Kamera geführt), sondern vor allem die emotionale Mehrdeutigkeit, die „Unreinheit“, die entsteht, wenn ein Schauspieler nicht leer vor die Kamera tritt. Es ist in seinen Filmen, anders gesagt, eine Art Endkampf zwischen dem Blick und dem Bild entbrannt, und seine Utopie ist die Unterwerfung des Bildes vor dem Blick. „Wenn ich einen Film drehe“, sagt Sternberg, „bin ich immer ,bewußt‘: Ich arbeite nicht mit meinen Gefühlen, sondern mit meinen Vorstellungen, mit meinem Gehirn.“ Glamour entsteht für ihn nicht durch das Objekt der Fotografie, sondern durch die Kamera, die „ohne Rücksicht auf dessen Wohlergehen“ die „Behandlung der Oberfläche“ betreibt, „einer Oberfläche, die keinerlei Tiefe hat“.

Bildlabyrinthe

Denn in Wahrheit nun sind Sternbergs Filme ebenso radikal anti- autobiographisch wie anti-dramatisch. In Filmen wie „The Scarlet Empress“ verbannt Sternberg das, was man gemeinhin Story nennt, weitgehend in die Zwischentitel; er erzählt von der Wandlung seiner Heldin viel eher durch die Veränderung des Lichts.

In der Vorherrschaft des Blickes indes unterdrückt Sternberg nicht nur das gewordene und zufällige Leben, sondern er befreit auch jene Elemente, die im gewohnten Bild nur der Unterstützung der autobiographischen Autorität der Story und des Spiels (unter anderem dem des Schauspielers) unterworfen sind, und in diesem Prozeß wird jeder Sternberg-Film auch ein Versuch über das Kino selbst, das, während es sich vom Romanhaften befreit, sich in den Labyrinthen seiner Bildwelten zu verlieren droht.

Sternbergs Filme sind nirgendwo zu Hause, sie haben keinen Ort und keine Zeit, keine Religion und keine Ideologie, keine Theorie und keine Erinnerung. Sie geschehen kreisend, fließend, suchend nach den Zeichen des Begehrten und des Begehrens und verschwinden in sich selbst, haben am Ende den Menschen wahrhaft aus dem Bild vertrieben.

Dieses Wuchern der Form wiederholt sich in der Biographie. Sternberg, der leidenschaftliche Kunstsammler, läßt sich in Los Angeles ein prächtiges modernistisches Haus errichten und verkauft es bald unter Wert, weil er seine Perfektion nicht ertragen kann: „Das Haus war zu sehr mein Spiegelbild.“ So könnte er auch von seinen Filmen sprechen, und so könnten wir sie sehen.