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Mafia? Nie gehört!

■ In Litauen blüht die Organisierte Kriminalität – aber die Behörden wissen von nichts / Für die Justiz kein Thema

Vilnius (taz) – Die Farce begann bereits mit dem Schlußwort des Angeklagten Kopatsch: Er folge Gottes Willen und fasse sich kurz, erklärte er. In zwanzig Monaten Untersuchungshaft war er bibelfest geworden; seine Rede wimmelte nur so von Bibelzitaten. Am Ende erklärte er sich für unschuldig und versicherte allen Anwesenden, er liebe sie sehr. Noch bevor das Urteil gesprochen war, drohte ein anderer Angeklagter einem Fotoreporter: „Wenn du knipst, knips' ich dich aus.“ Wenig später wurden alle elf Angeklagten der Aktiengesellschaft Centurion freigesprochen.

Die elf „Firmeninhaber“ waren der gemeinschaftlichen Erpressung, Nötigung, des illegalen Waffenbesitzes, des illegalen Besitzes von Rauschgift und Sprengstoff und der Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Dahinter verbarg sich ein einfaches, aber einträgliches Geschäft: Centurion war eine offiziell angemeldete Wach- und Schließgesellschaft, die nur den Nachteil hatte, daß sie von ihren Kunden Schutzgelder eintrieb, ohne sie zu schützen. Gebühren zu verlangen für eine Leistung, die nicht erbracht werde, so jedoch die Richter, zeuge nur von schlechtem Geschäftsgebaren, es sei kein Beweis für das Bestehen einer kriminellen Vereinigung. Sie entließen sieben Angeklagte aufgrund eines alten Amnestiegesetzes in die Freiheit, den restlichen vier rechneten sie die U-Haft auf das Strafmaß an – sie kamen auch frei. Als ein Reporter den Vorsitzenden Richter fragte, was denn nun die Zeugen, die zum Teil unter Todesangst ausgesagt hatten, tun sollten, kam die lapidare Antwort: „Das ist deren Problem.“

Centurion ist in den letzten Wochen in Litauen zum Symbol geworden für die Organisierte Kriminalität. Kurz nach dem Urteil debattierte das Parlament darüber. Inzwischen wurde ein neues Gesetz erlassen, demzufolge Mafia- Verdächtige bis zu zwei Monaten ohne Anklage in Untersuchungshaft genommen werden können. Proteste von Menschenrechtsorganisationen habe es nicht gegeben, erklärt Staatspräsident Algirdas Brasauskas. Er sieht die Entwicklung wenig dramatisch: „Auf tausend Einwohner gibt es hier immer noch weniger Verbrechen als in Lettland und Estland. Wir kontrollieren die Lage.“

Die Tageszeitung Respublika sieht das anders. Redakteur Frederikas Jansonas: „Im Vergleich zum letzten Jahr ist die Zahl der Morde in Litauen um 62 Prozent gestiegen, die der Schwerstverbrechen um 26,3 Prozent. Es ist richtig, daß die Zahl der Verbrechen insgesamt zurückgeht. Aber die der schweren Überfälle und Morde steigt. Anders ausgedrückt: Wenn Sie vor einem Jahr überfallen wurden, mußten Sie nur damit rechnen, ausgeraubt zu werden. Jetzt können Sie auch noch darauf zählen, gleich umgebracht zu werden.“

Die Respublika hat an der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ein höchst persönliches Interesse. Vor einem Jahr verlor sie ihren stellvertretenden Chefredakteur, der nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft von einem Mitglied der Erpresserbande „Vilnius-Brigade“ vor seinem Haus regelrecht hingerichtet wurde. Vier Bandenmitglieder wurden festgenommen, ihre Verbindungen reichen bis zu Mafia- Strukturen in den USA und Rußland. Der Prozeß soll in den nächsten Wochen eröffnet werden. Doch die Hoffnungen, die die Journalisten und die Polizei in ihn setzen, sind nach der Centurion- Farce sehr zusammengeschmolzen.

Die Möglichkeiten der litauischen Behörden, gegen Schutzgelderpresser vorzugehen, sind sehr begrenzt. Nur selten sind Opfer und Zeugen bereit, vor Gericht zu erscheinen. Im Fall Centurion tauchten einige ab, andere sagten unter Lebensgefahr aus: wie Bandenmitglieder sie zwangen, ihre Wohnungen zu lächerlichen Preisen zu „verkaufen“ oder horrende Schuldscheine zu unterschreiben, die Centurion dann eintrieb. Jansonas: „Was sollen diese Menschen von diesem Urteil halten?“

Einen Tag nach der Freilassung der Centurion-Mitglieder flog in der Innenstadt von Vilnius ein weißer Volvo in die Luft. Die Insassen, zwei polizeibekannte und in einem Fall wegen bewaffneten Raubüberfalls vorbestrafte Mafia-Verdächtige, waren etwas leichtsinnig mit ihrem Sprengstoff umgegangen, ermittelte die Polizei vorläufig. Einer war sofort tot, der andere kam mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus. Als ihn dort Reporter besuchten, verweigerte er jeden Kommentar. Erst danach schickte die Polizei Wachposten ins Krankenhaus. Klaus Bachmann

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