: Sarkophag für U-Boot
■ Lecks in gesunkenem Atom-U-Boot
Oslo (taz) – Die russischen Behörden haben einen neuen Vorstoß unternommen, die tickende Zeitbombe „Komsomolets“ zumindest für einige Jahre zu entschärfen. In einem ersten Schritt sollen die Löcher in dem 1989 vor der norwegischen Küste gesunkenen Atom-U-Boot abgedichtet werden. In einem zweiten Schritt soll über dem Vorderteil des Wracks, in dem die Atomtorpedos lagern, eine Art Sarkophag aufgeschüttet werden, um den drohenden Austritt von Plutonium wenn schon nicht zu verhindern, so doch zumindest zu verzögern.
In einem der norwegischen Regierung unterbreiteten Vorschlag für einen Handlungsplan schlägt das russische Verteidigungsministerium vor, die auf 12,5 Millionen Dollar geschätzten Kosten dafür zwischen beiden Ländern aufzuteilen.
Ein gleichzeitig vom Ministerium vorgelegter Bericht über den Zustand des in 1.700 Meter Tiefe liegenden Wracks schätzt die Zeit bis zu einem Austritt der etwa 20 Kilogramm Plutonium 239 aus den Atomtorpedos auf nicht mehr als etwa 18 Monate. Danach werde sich das Waffenplutonium in einem Radius von etwa zehn Kilometern auf dem Meeresboden ablagern.
Da es in Wasser nicht löslich ist, werde das Plutonium zwar keine unmittelbare Gefahr darstellen, wohl aber eine mittelbare und unkontrollierbare: über die Nahrungskette Plankton, Fisch, Mensch. Das Meeresgebiet, in dem die „Komsomolets“ liegt, ist eines der fischreichsten und am intensivsten befischten im Nordatlantik.
Während Pentagon und Nato die von dem U-Boot ausgehende Gefahr als gering ansehen, ist von russischer Seite in den letzten beiden Jahren mehrfach Alarm gegeben worden, und es wurden Pläne vorgelegt, wie der Austritt von Plutonium gestoppt werden könnte. Das Wrack ist seit seinem Versinken so schnell korrodiert, daß es nicht mehr möglich ist, es zu heben.
Der Grund für diese galoppierende Korrosion ist laut Igor Spasskij, dem in St. Petersburg lebenden Chefkonstrukteur des Bootes, die „weltweit einzigartige Konstruktion“ der „Komsomolets“: Der Schiffsrumpf besteht vollständig aus Titan. Bei der Havarie ist dieser Titankörper mit der Stahlkonstruktion des Bootes in Kontakt gekommen, was zusammen mit dem Meereswasser laut Spasskij zu einer elektrochemischen Reaktion führt: „Der Titanrumpf korrodiert deshalb 1.000fach schneller als Stahl.“
Unterwasseraufnahmen des russischen Militärs zeigen zwei Löcher, eines davon über 20 Quadratmeter groß. Dadurch wurde ausgerechnet das Waffenlager des Schiffes freigelegt. Spasskij: „Der von der Besatzung glücklicherweise rechtzeitig stillgelegte Atomreaktor macht uns keine Kopfschmerzen. Aber die Atomtorpedos.“
Norwegens Regierung zeigte sich in ersten Reaktionen wenig beunruhigt von den neuesten Berichten. Knut Gussgard, Chef der norwegischen Strahlenschutzbehörde: „Die paar Kilo Plutonium stellen keine Umweltkatastrophe dar. Von der britischen Wiederaufbereitungsanlage Sellafield aus ist viel mehr, nämlich mindestens 300 Kilo, in den Atlantik gelangt.“ Gussgard hält auch nichts von Versuchen, das Boot abzudichten: „Die Halbwertzeit bei Plutonium beträgt 24.000 Jahre. Jede Einkapselung wäre aber nach einigen Jahrzehnten wieder zerstört.“
Statt um die tickende Zeitbombe vor der eigenen Küste kümmert sich die Regierung in Oslo derzeit lieber um den rund um das Atombomben-Testgebiet Nowaja-Semlja versenkten Atommüll, obwohl dieser laut Expertenmeinung keine vergleichbar unmittelbare Gefahr darstellt: Nowaja-Semlja liegt weit von den Fanggründen der norwegischen Fischfangflotte entfernt und mögliche Strahlengefahren dort gefährden nicht den norwegischen Fischexport. Wie es ein Eingestehen der „Komsomolets“-Gefahr zweifellos tun würde. Reinhard Wolff
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