: Das große Geschäft mit den Kindern
Internationale Kinderorganisationen fordern Sanktionen gegen Kindersklavenarbeit / Die Macht der VerbraucherInnen könnte Auswüchse bei der Kinderarbeit schnell stoppen ■ Von Reinhard Wolff
Stockholm (taz) – Warenzeichen, die auf die angeblich naturgemäße Herstellung des Produkts hinweisen, gibt es bald wie Sand am Meer. In den Regalen finden sich immer mehr Kosmetika, die „ohne Tierversuche“ entwickelt worden sind. Wo aber sind Spielzeuge, Teppiche und andere Produkte mit dem Aufkleber „Hergestellt ohne Kinderarbeit“? Ist es noch länger verantwortbar, daß wir Europäer überflüssige Pfunde in Jogginganzügen und auf Turnschuhen herunterschwitzen, zu deren Herstellung Zehntausende Kinder gezwungen worden sind?
Die Macht der VerbraucherInnen könnte sehr schnell die schlimmsten Auswüchse von Kindersklavenarbeit stoppen, meinten die TeilnehmerInnen eines Anfang dieser Woche in Stockholm abgehaltenen Seminars, an dem GewerkschaftlerInnen und MitarbeiterInnen von Unicef und Kinderhilfsorganisationen teilnahmen. Allerdings müsse sich diese Macht auf nationaler und internationaler Ebene kräftiger bemerkbar machen. Kinderarbeit sei kein unabänderliches Phänomen, das zur Gesellschaftsstruktur „unterentwickelter“ Länder zwangsläufig dazugehöre. Das System der Kinderarbeit wird von den Abnehmerländern der Waren in der reichen Welt aufrechterhalten. Es ist durchaus verzichtbar, „wenn man den Erwachsenen die Arbeit und den Lohn geben würde, damit sie die Familie ernähren können“, sagte die Vorsitzende der Kinderhilfsorganisation „Rädda Barnen“, Karin Söder. Unterschrieben und ratifiziert haben die UNO-Konvention zum Schutz der Kinder seit 1989 nicht weniger als 160 Länder – doch hat die Kinderarbeit weltweit nicht abgenommen. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), die selbst keine Sanktionsmöglichkeiten hat, fordert deshalb jetzt die westlichen Länder und die EU auf, Regelungen bezüglich eines Verbots der Kinderarbeit aufzustellen, die gegebenenfalls auch über Handelssanktionen durchgesetzt werden können.
Daß hinter solchen Gewerkschaftskampagnen auch der Versuch steht, nicht noch mehr Billigarbeitsplätze an die Dritte Welt zu verlieren, muß die Sache nicht schlechter machen, meinten die KonferenzteilnehmerInnen. Eine konsequente Haltung der UN und ein internationaler Verbraucherboykott würde daher zwar zunächst auch erst Arbeitsplätze zerstören, letztendlich aber schnell Erfolg haben und die Kinderarbeitsplätze durch besser bezahlte Erwachsenenarbeitsplätze ersetzen.
Wenn es bislang primär die Gewerkschaften waren, die – auch im Eigeninteresse – den Kampf gegen die Kinderarbeit führten, häufen sich Beispiele aus dem Bereich der Wirtschaft selbst. Der Internationale Währungsfonds sieht das Ausnutzen der Kinderarbeit als unzulässigen Konkurrenzvorteil, ein waschechtes soziales Dumping. Erwachendes Verbraucherbewußtsein hat einige multinationale Konzerne veranlaßt, auch offiziell nicht länger die Augen vor den Produktionsbedingungen ihrer Lieferanten zu schließen. Der Levi's-Konzern hat eine Reihe von Arbeitsschutzklauseln eingeführt. Da diese offenbar trotz mehrfacher Anmahnung bei den chinesischen Lieferanten nicht eingehalten werden, will Levi's viele der dortigen Verträge nicht verlängern. Auch wenn der Konzern dabei in erster Linie weder das Schicksal der chinesischen Kindersklaven oder Häftlinge im Auge hat, sondern sein Verbraucher- Image, zeigt dies doch die potentielle Macht der KonsumentInnen.
Wie das laufen kann, hat eine Diskussion in Schweden gezeigt: Ein Fernsehbeitrag über Kinderarbeit beim Teppichknüpfen in Pakistan zeigte den Weg der Teppiche von an ihren Bänken festgeketteten Fünfjährigen zum Ikea-Warenhaus in Stockholm auf. Ikea, bislang angeblich völlig unwissend darüber, wie die billigen Teppiche so preiswert geknüpft wurden, war innerhalb weniger Tage gezwungen, mit seinen Unterlieferanten neue Bezugsverträge auszuhandeln.
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