: Drogenwahlkampf ohne Niveau
Polemische Diskussion um NRWs Drogenpolitik im Düsseldorfer Landtag / SPD bleibt auf eingeschlagenem Kurs: Auch Besitz geringer Mengen Heroin wird nicht strafverfolgt ■ Von Walter Jakobs
Düsseldorf (taz) – Der nordrhein-westfälische CDU-Oppositionsführer Helmut Linssen hat die neuen NRW-Drogenrichtlinien gestern vor dem Düsseldorfer Landtag als ein „Konjunkturprogramm“ für den Drogenhandel gegeißelt. Mit ihrem neuen Erlaß produziere die SPD-Landesregierung einen „Riesen-Drogenberg, der viele Jugendliche unter sich zu begraben“ drohe. Die CDU lehne „diese in den Tod führenden Richtlinien ab“. Nach der Linssen- Rede kam es im Landtag zu erregten Szenen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Friedhelm Farthmann hielt Linssen vor, sich im Stile eines „Verleumders“ der „politischen Brandstiftung“ schuldig gemacht zu haben. Tatsächlich knüpfte Linssens Rede nahtlos an die Kampagne der Bonner CDU-Parteizentrale an, die in Fernsehspots zum Europawahlkampf die Ansätze zur Liberalisierung der Drogenpolitik in bekannt übler Manier als Wahlkampfknüppel einsetzt. Die CDU-Kampagne, so räumte NRW-Innenminister Herbert Schnoor gestern ein, „wurde so geschickt inszeniert, daß sie sogar einige von uns damit geleimt haben“. Damit spielte Schnoor auf zahlreiche SPD-Politiker an, die vor dem „riskanten Weg“ der Düsseldorfer Regierung gewarnt hatten.
Tatsächlich ändern die Richtlinien an der bestehenden Rechtslage nichts. Die von der CDU behauptete „Freigabe von Rauschgiften in NRW“ findet nicht statt. Mit den neuen Richtlinien wird lediglich erreicht, daß die schon lange übliche Praxis, Drogenbesitzer bei Kleinstmengen von Strafverfolgung auszunehmen, im ganzen Land vereinheitlicht wird. Das von der Bonner Koalition im September 1992 geänderte Betäubungsmittelgesetz (BtmG) räumt den Staatsanwaltschaften im 31a das Recht ein, Verfahren ohne Beteiligung der Gerichte dann einzustellen, wenn der Beschuldigte nur geringe Mengen von Drogen zum Eigenverbrauch bei sich führt und auch sonst kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Diese Vorschrift, das hat der Düsseldorfer Justizminister Rolf Krumsiek (SPD) gestern unter Verweis auf die Rechtsprechung der Obergerichte noch einmal klargemacht, „gilt für weiche wie harte Drogen gleichermaßen“.
Allein in NRW haben die Staatsanwälte im vergangenen Jahr 4.139 Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt – allerdings von Ort zu Ort unterschiedlich. So konnte ein Haschischbesitzer in Aachen auf Einstellung hoffen, wenn er nicht mehr als 20 Gramm bei sich führte. In Gronau durften es aber höchstens sechs Gramm sein. Diese Unterschiede galten auch bei harten Drogen: Wer in Krefeld mit 0,5 Gramm Heroin erwischt wurde, kam ohne Strafverfahren davon. In Düsseldorf reichten dagegen schon 0,2 Gramm Heroin aus. In seinem sogenannten Haschisch-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht die Einstellungspraxis für weiche Drogen – nur darüber hatte das Gericht zu entscheiden – gebilligt und die Bundesländer aufgefordert, „für eine im wesentlichen einheitliche Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften zu sorgen“. Weil die Bundesländer diese Einigung bisher nicht schafften, erließ die Düsseldorfer Regierung „vorläufig“ eigene Richtlinien. Als „geringe Mengen“ legte Krumsiek dabei für Haschisch zehn Gramm fest. Für Heroin und Kokain je ein halbes Gramm. Vom „drogenpolitischen Horrortrip“ schwadronierte danach CDU-Generalsekretär Herbert Reul, den auch nicht irritierte, daß andere Bundesländer – Hessen, Hamburg, Schleswig-Holstein – längst höhere Mindestmengen festgelegt hatten. Für Bundesarbeitsminister Norbert Blüm mutierte der rechtskonservative Sozialdemokrat Krumsiek über Nacht sogar zum „Drogen-Vietkong“. Die grüne Fraktionssprecherin Bärbel Höhn hielt den Christdemokraten gestern „demagogische Stimmungsmache“ auf Kosten der Drogenabhängigen vor. Gleichzeitig verliere die CDU über die Lieblingsdroge von Parlamentsabgeordneten kein Wort. Höhn wörtlich: „Wir PolitikerInnen könnten ja fast Alkoholismus als Berufskrankheit anerkennen lassen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen