: Wohnungsnot und Widerstand
■ Das etwas andere Stadt(teil)magazin HH19 feiert 3jähriges Jubiläum Von Thomas Koch
In der „Von-der-Tann-Str. 1“ knallten vor wenigen Tagen die Korken. Es galt ein Jubiläum zu feiern. Vor drei Jahren wurde das Stadtteilmagazin (böse Zungen sagen „Anzeigenblättchen“) HH 19 aus der Taufe gehoben. Ihr Kind, so konnte das „Redaktionskollektiv“ befriedigt feststellen, hat sich in dieser Zeit prächtig entwickelt, ist kerngesund und hat seit seiner Geburt mächtig Profil gewonnen.
Woher sie den Mut nahmen, eine kostenlose Stadtteilzeitung ins Leben zu rufen, die sich nur über Anzeigen tragen sollte, wissen die Initiatoren heute selber kaum noch. Jörn Breiholz, einer der Gründer des „Monatsblatts für Hamburgs wilden Westen“, erinnert sich: „Ich habe etwas gesucht, womit ich politisch etwas bewirken kann. Und da gibt es nichts Spannenderes, als eine eigene Zeitung zu machen.“ Gesagt, getan: Im Mai 1991 lagen 6.000 Exemplare des acht Seiten dünnen Heftchens erstmal in Eimsbüttels Kneipen und Läden aus. Und waren im Nu vergriffen.
Drei Jahre später hat sich das Gesicht von HH19 merklich verändert – aber auch die Bedingungen, unter denen das „Redaktionskollektiv“ die monatliche Ausgabe produziert: Aus acht Seiten wurden 24, das chaosträchtige Bleiwüsten-Layout wich einem übersichtlichen Outfit. Statt einst 6.000 Exemplaren bringen die HH19-MitarbeiterInnen heute 15.000 Magazine unter die Leute, wobei das Verbreitungsgebiet bis nach St.Georg und Altona vergrößert werden konnte.
Die Anzeigenerlöse haben sich verzwanzigfacht, so daß die Stadtteilzeitung vor einem Jahr das Redaktionsbüro in der "Von-der-Tann-Str. 1“ anmieten und mit Computeranlage, Kopierer und Faxanschluß ausstatten konnte. Inzwischen können zwei hauptamtliche Redaktionsmitglieder von den Erlösen der Zeitung „überwiegend leben“.
Nur drei Dinge haben sich nicht verändert: HH19 gibt es immer noch kostenlos, die Mitglieder der Redaktion verteilen die Zeitung noch immer eigenhändig ( in 900 Läden und Kneipen), und noch immer ist jede neue Ausgabe im Nu vergriffen.
Das Erfolgs-Rezept des Blattes ist denkbar einfach: Die MacherInnen setzen auf politisch engagierten, gut recherchierten Journalismus, der, so Redaktionsmitglied Peter Gutzeit, „den linken Pluralismus innerhalb der Redaktion“ wiederspiegelt. Daneben organisierten die RedakteurInnen, „die aus dem Stadtteil kommen“, Kulturveranstaltungen an ungewöhnlichen Orten. So hielten Schriftsteller wie Günther Amendt und Dirk C.Fleck Lesungen in einem Waschsalon.
Immer wieder gelang es dem „Redaktionskollektiv“, Geschichten zu recherchieren, die andere Medien, von den Tagesthemen bis zum „Spiegel“ schließlich übernahmen. Zusammen mit der taz veröffentlichten sie als erste die Listen von umwandlungsbedrohten Häusern und trugen aktiv zur Gründung einer Eimsbüttler Mieter-initiative bei.
Sie berichteten als erste darüber, daß Hamburg serbische Flüchtlinge abschiebt, informierten über die Aktivitäten des „Nationalen-Infotelefons“ der FAP und lenkten den Blick auf das Thema „Kirchenasyl“. In ihrer aktuellen Ausgabe entlarvte die Redaktion die Geschäftsmethoden und präsentierte die Namen professioneller Wohnungsumwandler, die der Scientology-Sekte nahestehen.
Nahezu jede zweite Wohnung, die zur Zeit ihren Besitzer wechselt, so fanden die RedakteurInnen heraus, wird von der „Scientology-Connection“ vermakelt. Die Enthüllungs-Geschichte schlug Wellen: sämtliche Hamburger Tageszeitungen, die regionalen Fernehmagazine und die „Tagesthemen“ berichteten über die Erkenntnisse des Stadtteilmagazins.
Bekannt wurde HH19, das sich laut MitarbeiterInnen „auf dem Weg zum Stadtmagazin“ befindet, aber durch eine Aktion, die Peter Gutzeit heute als „unser Waterloo“ bezeichnet. Die ZeitungsmacherInnen hatten angekündigt, auf dem letztjährigen Osterstraßen-Fest eine leerstehende Wohnung zu verlosen, verschwiegen aber, daß diese nur im Puppenstubenformat zu haben war.
Nachdem eine kleinformatige Hamburger Boulevardzeitung über die angekündigte Verlosung vorab berichtete, eilten aus ganz Hamburg Wohnungssuchende herbei, um möglichst alle 2.000 Lose auf einmal aufzukaufen und sich so eine Bleibe in Eimsbüttel zu sichern. „Wir wollten das Problem Wohnungsleerstand in die Medien bringen“, erinnert sich Peter Gutzeit, doch die Aktion ist uns völlig aus dem Ruder gelaufen“.
Das Medienecho war zwar riesig, doch anders als erhofft. Die düpierten JournalistInnen schlugen zurück. „2000 Hamburger betrogen“, titelte besagte kleinformatige Hamburger Boulevardzeitung, die dem Stadtteilmagazin tags zuvor auf den Leim gegangen war. Noch am Abend zogen die HH 19-Redakteure durch Eimsbüttels Kneipen und hefteten Plakate mit Entschuldigungen an die Wände.
Daß sie ihrem Anspruch, „den Mächtigen auf die Füße zu treten“, gerecht werden, merken die Eimsbüttler SchreiberInnen auch daran, daß nach einem brisanten Artikel nicht selten eine Flut von Unterlassungsklagen und Gegendarstellungs-Begehren ihren Briefkasten füllen. Sie wissen zudem, daß ihr kleines Magazin längst zur Pflichtlektüre der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes geworden ist. Peter Gutzeit: „Wir werden beachtet und beobachtet.“
Durch die juristisch ausgetragenen Anfeindungen - fünf Gerichtsverfahren sind noch anhängig - hat die etwa ein Dutzend Leute umfassende Redaktion vor allem gelernt, keine einzige Information zu drucken, die nicht „absolut wasserdicht“ ist.
„Die Zeit der journalistischen Gehversuche ist vorbei“, sagt Redaktionsmitglied Reinhard Laskowski, „Schluderei können wir uns schon finanziell überhaupt nicht leisten“. Jörn Breiholz ergänzt: „Noch kein einziges Mal wurden wir dazu verdonnert, eine Gegendarstellung abzudrucken.“
In Zukunft wollen die Magazin-MacherInnen vor allem das Verbreitungsgebiet ihrer Postille ausdehnen. „Warum nicht bis nach Bergedorf“, fragt sich Jörn Breiholz. Doch erstmal konzentrieren sich die Redakteure ganz auf den Feinschliff ihrer nächsten Ausgabe, die ab heute wieder zwischen Altona und St.Georg verteilt wird. Die Hauptthemen werden erneut die Machenschaften einiger Scientologen auf dem Hamburger Immobilienmarkt und der Wohnungsleerstand in Hamburg sein. Spannende Information wird garantiert. Und den HH19-Hausjuristen Manfred Getzmann und Joachim Schöller mit Sicherheit ein Batzen neuer Arbeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen