: Anti-Piggie-Methoden
■ Auch in der Hamburger Hip-Hop-Nation gibt es Sexismus und Machotum nach Ghettovorbild Von Birgit Kiupel
Rap machte besonders viel Schlagzeilen wegen angeblicher Verherrlichung von Gewalt und frauenfeindlicher Texte. Das Markenzeichen „Explicit Lyrics“ – gerne in knalligen Farben auf der Plattenhülle prangend – steht für Wortwasserfälle, in denen Reizworte wie „motherfucker“, „bitch“ oder „whore“ auch für absolute English-Beginners eindeutig zu identifizieren sind.
Doch die lukrative Ausbeutung schwarzen Elends und das damit einhergehende und gleichzeitig kokettierende rude word ist nur die A-Seite des Hip-Hops: Wider billige Medienwirksamkeit und flüchtige Chart-Erfolge gibt es Geheimtips – die B-Seite – für alle, die mit Hip- Hop mehr an der Mütze haben als nur Kürzel.
Doch was ist das überhaupt: Hip- Hop, Rap? Und: ist diese Musik-Gattung nicht längst schon für tot erklärt? Herrscht Infomangel trotz der medialen Logorrhöe?
Die Diva Cora E.
Cora E., eine der wenigen Frauen im deutschen Hip-Hop, rappt Klartext für alle, die es immer noch nicht kapiert haben. Sie definiert, unterstützt von feinen Sample- und Soundbasteleien ihres Hamburger DJs Marius Nr.1: „Rap, der Sprechgesang, ist nur ein Teil der Hip-Hop-Kultur.“
Und: „Wo sind die B-Boys, wo sind die writer?“ fragt Cora E. in die hoppende Menge auf einer Hip-Hop-Jamsession im Trockendock. Die B-Boys, das sind die männlichen Clan-Angehörigen der Hip-Hop-Nation; die writer repräsentieren die Nachfolger der Graffity-Sprüher: Mit Edding malen sie verschnörkelte bis zackige Insignien ihres Dagewesen-Seins an jede Fläche, die noch frei ist.
Cora E. wirkt wie eine Hüterin einer gefährdeten Kultur mit dem Qualitätssiegel: authentisch, kreativ, nicht-kommerziell. „Hip-Hop ist Mode geworden. Ich hoffe, daß diese Modewelle ganz schnell vorbeifließt.“ Stattdessen erzählt Cora E. von „der Konnektierung zwischen den Städten“, von Sprühern, die einander besuchen, gemeinsam malen gehen. Das sei Hip-Hop-Kultur, die es so nur noch in Deutschland gebe. Lästig wird es ihr, wenn sie mehr über ihr Lebens-Gefühl preisgeben soll: „Hip-Hop kann man nicht lernen, das empfindet man.“ Cora E., ganz Diva, hat keine Lust auf solche Interviews.
Sie rappt warnend, um „Hip-Hop vor der falschen Interpretation zu verschonen“, will ihn aber gleichzeitig „vor den Medien schützen.“ Wie denn nun, Frau Dr. Hip Hop? „Ich will, wenn ich auf eine Party gehe, break dance sehen. Ich möchte mir Graffitibücher anschauen, die Bücher mit den Fotos der Writer, die sie rumreichen. Das eine lebt vom anderen. Nur Rap anhören kann ich auch zu Hause.“
Ganz andere Bedenken hat Martina vom Hamburger DJ-Duo Pearls for Piggies: „Ja, ja, die Dr. Hip- Hops, die uns als die Krankenschwestern des Rap ansehen und uns kein Urteilsvermögen zutrauen!“ Martina plaudert in der Hamburger Frauenkneipe über Ereignisse am Rande des Plattentellers. „Ich will nicht jammern, aber es geht mir auf den Keks, wenn junge Bengels mir erzählen, wo's lang geht. Tut mir leid, daß ich das wieder auf dieses Mann-Frau-Ding reduzieren muß, aber ich glaube nicht, daß männliche DJs auf so einen Prüfstand gestellt werden wie wir.“
Perlen für die Säue
Aber diese Prüfung bestehen Martina und Ilonka lässig, wenn sie beispielsweise im Subotnik oder im Tiefenrausch ihre Vinyl-Perlen auspacken: liebevoll zusammengesuchte, mitunter gewöhnungsbedürftige Hip-Hop- und Ragamuffin-Spezialitäten. Vor Arbeitsbeginn schaffen sie sich ihre kleine Umgebung mit einem Arrangement aus künstlichem Blumengesteck und Meerestierchen.
Pearls for Piggies ist eine Anspielung auf frustrierende DJ-Abende in der Frauenkneipe. Dort erzielten Martina und Ilonka als Heilpraktikerinnen schlechte Therapieerfolge, als sie im Kampf gegen den lauen Musik-Mainstream Infusionen verabreichten, die aus „grooves, zu denen man sich wunderbar bewegen kann“ sowie Jazz- und Soulkomponenten gemixt waren.
„Viele denken, wenn sie Hip Hop hören, an das harte Gestampfe von Public Enemy, was ich immer gern für mich als Jungs- oder Westkurven-Hip Hop bezeichne. Aber das ist überhaupt nicht unser Ding“, erläutert Martina. Abstoßend wirken auch die medien- und marktwirksamen Frauenfeindlichkeiten diverser Rapper.
Ilonka erläutert ihre Anti-Piggy-Methoden: „Total sexistische Texte werden von uns eigentlich nicht gespielt, es sei denn, sie haben einen klasse groove. Dann spielen wir den Titel für uns oder die letzten Besoffenen so gegen sechs Uhr morgens.“ Aber es kommt auch vor, daß beide „irgendwelche Schweinereien nicht mitkriegen.“
Die Bitch-Nummer
Die meisten Rapper stellen Frauen, wenn sie denn im Text vorkommen, als Sexualobjekte, als Huren dar. Deshalb haben sich in den USA Frauen der Rap-Industrie zusammengeschlossen. Eine solche support-group ist W.R.E.P. (Women in Recording & Entertainment for Progress). Im Oktober 93 diskutierten Expertinnen im Oakland's Mill's College unter dem Motto: „Respect due: Women & Hip Hop History“ (Respekt, der ihnen gebührt: Frauen in der Hip-Hop Geschichte). Debatten über Sexismus sind auch in den black communities im Gange.
Männer über Frauen
„Diese bitch-Nummer ist total langweilig“, konstatiert Marius Nr. 1. Cora E. hingegen findet die Frage, warum es ihrer Meinung nach so wenig Frauen im Hip-Hop und Rapperinnen gäbe, richtig beknackt. „Weiß nicht, vielleicht haben sie keinen Bock da drauf. Wenn ich ins Publikum gucke, sind die meisten Mädchen mit ihrem Freund da. Die wenigsten kommen, um sich die Show anzugucken. Ich glaub nicht, daß sich den Frauen was in den Weg stellt, die Chance ist da. Mich hat auch keiner gebeten, zu rappen.“
Weniger gereizt als Cora E. äußert sich René vom Hamburger Rap-Quartett Easy Business zum Problem des Sexismus: „Wir haben keinen Grund, frauenfeindliche Parolen loszuschmettern.“
René, Eric und Boris blättern an einem Sonntagnachmittag in einem gutbürgerlich eingerichteten Steilshooper Wohnzimmer in ihrer Hip-Hop-Geschichte: „Seit sechs Jahren haben wir uns voll auf die Musik konzentriert, da war nicht viel Zeit für Graffiti und break dance.“
Und was ist mit den Rapperinen? „In den Anfängen des Rap hat man in den Texten gesagt: Ich bin der Größte, ich mach euch alle lang. Hast Du 100 Reime, hab ich 102. Es waren nur Superlative, richtiges Machogehabe. Das hat zu einer Frau überhaupt nicht gepaßt. Sowas war Männersache. Es ist dann für Frauen natürlich sehr schwer, in die Szene reinzukommen. Aber Cora E. ist unheimlich lange dabei. Trotzdem hat es immer Barrieren für Frauen gegeben.“ Ein Beispiel für solche Potenz-Soundtracks liefert Curtis Blow, ein Ahnherr des Rap.
Dieses Macho-Gehabe aus der steinernen Frühzeit des Hip-Hop hat Cora E. übernommen. Als eine Rapperin, die ihre Reime voll im Griff hat, präsentiert sie sich in ihrem Angeberin-rap „Volle Kontrolle“. Die Tendenz: „Hier Leute, das kann ich, macht's besser.“ Dazu hat Marius Nr.1 mittelalterlich quäkende Nervfaktoren ausgetüftelt, die von einem Musikzitat eines geschätzten Soul-Altmeisters garniert werden: „Das ist eigentlich ein langer Ton von einem Moogsynthesizer aus einem James-Brown-Stück.“
In punkto Macho-Tum unterscheidet sich Hip-Hop nicht von anderen Formen der Subkultur. Doch Angeber-Rap und GangstaRap, in dem es vornehmlich um Prostituierte, dicke Autos und Knarren geht, beeindrucken die Jungs von Easy Business nicht.
Boris: „Wenn Du Dir amerikanische Gruppen anguckst, wo einer 'ne 9mm-Knarre in der Hosentasche hat und tönt, daß er ein ganz toller Hecht sei, dann hör ich auch bei den Texten nicht mehr hin.“ René: „Wir können uns nicht hinstellen und sagen: Wir sind die Härtesten und im Ghetto aufgewachsen. Deshalb muß ich auch Themen suchen, die mich betreffen, europäische, globale.“ Ein Beispiel dafür ist ihr Stück „Save the kids“, in dem es um Kindesmißhandlung geht.
Mädchen in Steilshoop
Zum Hip-Hop-Nachwuchs aus Steilshoop zählen Two young justice, zwei türkische und zwei deutsche Rapper: „Es wird viel über Steilshoop geredet, daß hier angeblich so viel Gewalt herrscht. Das ist auch für uns blöd, denn wir sind ziemlich anständige Leute.“ Larrick, Comp, Candy und Case, die Rap-Namen der vier 16jährigen, kommen gerade aus ihrem Übungsraum im Steilshooper Haus der Jugend.
Von Ghettoromantik, von Glorifizierung des Straßenkampfs und Überleben im Elend keine Spur: „Ein richtiges Ghetto ist das hier nicht, obwohl das manche vielleicht so sehen möchten. Die Bronx, das ist ein Ghetto.“
Angeber-Rap
Im Graffiti-gezierten Steilshooper Haus der Jugend proben fünfzehn Bands, davon finden sich vier Gruppen in der Sektion Hip-Hop, deren jüngste Mitglieder zwölf, dreizehn Jahre zählen.
Auch hier fehlen wieder einmal die Mädchen, obwohl in den übrigen Bands sehr wohl welche mitmischen. Allerdings besuchen die Hip-Hop-Mädchen Rap-Parties und Live-Veranstaltungen.
Two young justice träumen nicht von der großen Rapkarriere: „Hauptsache wir haben unseren Spaß, können unsere Probleme besprechen und ein bißchen nachdenken. Wir sehen uns alle mehr so als Brüder.“ Bei der dritten Ton-Nacht Ende April, die fünfzehn Steilshooper Bands präsentierte und 500 Besucher ins Haus der Jugend locken konnte, hatten Two young justice ihren großen Auftritt zwischen Rock, Pop und Heavy Metal: „Jetzt kommen wir, ja jetzt kommen wir, wir vier!“. Angeber-Rap.
Aufregung umsonst?
Die favorisierte Musikzitat-Quelle von Two Young Justice ist James Brown, „wegen der alten Trompeten“. In den Texten der vier absoluten Nichtraucher wird gelegentlich Nonsense gerappt, aber es geht auch um „Drogenproblematik, Gewalt, Nazis“. Getextet wird in englisch, aber „auch schon öfter in deutsch, sonst verstehen die meisten das gar nicht“.
Sollte die ganze Aufregung um die „Explicit Lyrics“ etwa umsonst gewesen sein, weil eh niemand was versteht?
Info-Quellen zu Hip-Hop und Rap: Frauenmusikarchiv im Frauenmusikzentrum, Große Brunnenstraße 63 a, Tel: 39 27 31
„Women in the middle – gebt mir Respekt“ Frauen im Hip-Hop, USA. Artikel von Annette Weber in: Hamburger Frauenzeitung, Nr. 39, Dez. 1993 - März 1994
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