Leiden an der Welt ohne Draht

■ Wie die Telekom im Osten Geschäftskunden per Funk versorgt, die keine Aussicht auf ein Telefon haben / Erst Ende 1995 ist ganz Berlin angeschlossen

Die neuen Bundesländer zählen zu den reichsten Regionen Europas. Zu diesem erstaunlichen Ergebnis könnten Sozialwissenschaftler kommen, wenn sie die Verbreitung von Funktelefonen als Wohlstandsindikator betrachten. So stammt etwa jeder vierte Kunde des privaten D2-Netzes von Mannesmann aus der Ex-DDR, das neue „e-plus-Netz“ bietet seine Dienste vorerst überhaupt nur im Osten an. Freilich beruht die „Begeisterung der Ossis fürs Drahtlose“, von der die mobilen Netzbetreiber schwärmen, hauptsächlich auf dem Mangel an Drähten, die den Anschluß an die weite Welt bedeuten. Beispielsweise bezog der Journalist Martin Kreile Ende 1992 eine Wohnung in Pankow – dies vor allem, weil ein aus der Wand lugendes Telefonkabel schon bei der Besichtigung Hoffnungen geweckt hatte. Zunächst versuchte er, von der nächsten Telefonzelle beim zuständigen Fernmeldeamt anzurufen. Bei der Telekom – Eigenwerbung: „Wir lösen Ihre Kommunikationsprobleme“ – war freilich tagelang telefonisch niemand zu erreichen. Er schrieb einen Brief, der gleichfalls unbeantwortet blieb.

Nach einigen Wochen unternahm Kreile schließlich den nächsten Schritt, der ihn in einen Telekom-Laden führte. Dort füllte er erstmals ein Formular aus. Das endlich entlockte dem Fernmeldeamt ein erstes Lebenszeichen: Eine Eingangsbestätigung für den Antrag.

Die heiß ersehnte Antwort auf die Frage, wann denn mit einem Anschluß zu rechnen sei, enthielt das Schreiben aber nicht. Unterdessen reihte sich Kreile mehrmals täglich in die Schlange vor der Zelle ein und telefonierte mit dem Notizblock auf dem Knie, bis die Wartenden ihn hinausprügelten.

Inzwischen zu allem entschlossen, opferte Martin Kreile einen Tag und fuhr zum Fernmeldeamt nach Tegel. Dort konnten sich Privat- und Geschäftskundenvertrieb zwar nicht einigen, wer denn für ihn zuständig sei, doch nach nur einer halben Stunde bekam er die verbindliche Auskunft, vor dem Jahreswechsel 1994/95 werde er nicht angeschlossen.

Das Kabel in der Wand könne allenfalls von einem Doppelanschluß stammen, und ein solcher würde heutzutage nicht mehr vergeben, erklärte eine Sachbearbeiterin. Immerhin gab sie dem Journalisten noch eine Adresse mit auf den Weg: Die „Sonderaktion Mobilfunk“ in der Klosterstraße in Mitte. Dort, so erklärte sie, könnten Geschäftskunden, die ihren Anschluß vor mehr als sechs Wochen beantragt haben und ihn im nächsten halben Jahr nicht bekommen, ersatzweise ein Funktelefon erhalten.

Schon beim Betreten des Gebäudes wurde Kreile klar, daß hier tatsächlich etwas zu holen sein mußte: Während das gewöhnliche Fernmeldeamt jedermann offenstand, bekam er in der Klosterstraße einen Laufzettel in die Hand gedrückt, auf dem sorgsam die Nummer seines Personalausweises vermerkt wurde. Das Mobiltelefon selbst, sagte ihm die dortige Sachbearbeiterein, stelle die Telekom kostenlos zur Verfügung. Als Grundgebühr müsse er nur die üblichen 27 Mark bezahlen, die Gesprächsgebühren jedoch richteten sich nach den mobilen Tarifen der Betreiber Telekom und Mannesmann. Tagsüber seien das 1,38 Mark für jede Minute.

Berliner Ortsgespräche, überschlug Martin Kreile schnell, würden ihn also statt 2,30 Mark in der Stunde 82,80 Mark kosten. Bekannte, so wandte er ein, hätten ihm von Geschäftskunden erzählt, die zum Festnetztarif per Funk telefonieren könnten. Dabei müsse es sich um DAL-Anschlüsse handeln, erwiderte die Sachbearbeiterin, fest installierte Telefone mit „drahtlosen Anschlußleitungen“. Da die DAL-Kapazitäten aber längst ausgelastet seien, komme für ihn nur ein mobiles Telefon in Frage. Das freilich könne er voraussichtlich auch erst in vier Wochen mitnehmen, denn der Hersteller sei in Lieferschwierigkeiten geraten. Ralph Bollmann