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Ungeklärte Sicherheitsfragen Von Klaudia Brunst

Meine Schwiegereltern sind von Natur aus etwas ängstlich. Weswegen sie es lieber sähen, wenn wir der wüsten Großstadt endlich den Rücken kehrten und uns in ihrer ländlichen Einliegerwohnung einmieteten. Um sie von der Gefahrenlosigkeit der urbanen Wohnkultur zu überzeugen, hatten wir die beiden wiederholt zu uns eingeladen. Letztes Wochenende waren sie tatsächlich gekommen.

Mittels eines neuen GS-geprüften Sicherheitsschlosses hatten wir vorsorglich die Tür auf den neusten Stand der Technik gebracht, hatten die Fenster mit zusätzlichen Riegeln (20 Prozent aller Unfälle passieren beim Fensterputzen!) versehen und die Überbrückung der maroden elektrischen Sicherungen mit einem Vorhang kaschiert. Der Hund ging als lebender Wachschutz durch, auch wenn meine Schwiegereltern lange darüber debattierten, ob nicht die Gefahr durch Bißverletzungen doch größer sei als der Sicherheitsgewinn. Aber als wir ihnen unser Tetanus-Impfzeugnis zuschickten und auch sie ihren Wundstarrkrampfschutz testen ließen, stand dem Besuch nichts mehr im Wege.

Kaum aber hatten die beiden die zur Hochsicherheitsschleuse gerüstete Tür durchquert und der Kater sein freudiges Begrüßungsfauchen beendet, war die gute Stimmung auch schon wieder dahin. Ob der Hund eigentlich gegen Tollwut geimpft wäre, wollte mein Schwiegervater beunruhigt wissen. „Selbstverständlich“, triumphierte meine Freundin und zog den Impfausweis des Hundes aus der Tasche. „Schön, und was ist mit der Katze?“ fragte meine Schwiegermama, immer noch in Hut und Mantel. Geduldig referierten wir, daß das Tier die Wohnung ja nicht verlassen könne und somit der Impfschutz des Hundes vollauf genüge. „Das mag ja prinzipiell richtig sein“, lenkte der Vater meiner Freundin zunächst ein, verwies dann aber – ohne sich auch nur in die Nähe der Tiere zu wagen – durch die fest verriegelten Fenster auf den nahegelegenen Park. Von dort könne sehr wohl eine Maus in das Haus eindringen, dozierte er, und – von der Katze gefangen und verspeist – die Seuche hinterrücks wieder einschleppen. Man könne da nie sicher sein.

„Woher um alles in der Welt sollte eine Berliner Stadtmaus tollwütig werden?“ maulte meine Freundin, während sie mißmutig an den Sicherheitsschlössern der beiden Stahlwandkoffer herumfingerte. „Natürlich durch die Begegnung mit einem tollwütigen Fuchs“, antwortete mein Schwiegervater selbstbewußt. „Füchse?“ intonierten wir beide wie aus einem Mund und meinten noch in dieser Minute dem Rinderwahnsinn anheimfallen zu müssen. „Immer mehr Kleinraubtiere suchen die Nähe der Großstadt“, wurden wir aufgeklärt, allein im Bochumer Citybereich seien schon über 10.000 Exemplare gezählt worden.

Noch am gleichen Abend verteilten wir in der Wohnung eine Reihe von Mäusefallen. Meine Schwiegereltern hatten sie sicherheitshalber gleich mitgebracht. Am nächsten Morgen gellte ein markerschütternder Schrei aus der Küche. Meine Freundin hatte, noch nicht ganz wach, statt ins Müsli in den Schnappmechanismus gegriffen. Der Arzt stellte zwei gebrochene Finger und diverse Quetschwunden fest. „Siehste“, triumphierte mein Schwiegervater. „Gefahren lauern in der Großstadt eben doch überall.“

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