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Biersuppe als Hauptnahrungsmittel

■ Im 18. Jahrhundert stillten 300 Brauereien den großen Durst der Berliner / Später berauschten sie sich dann an Branntwein oder französischen Weinen

Die Zeiten, in denen Berlin ein wahres Eldorado für Bierbrauer war, sind lange vorbei. Ungefähr 600 Jahre. Denn damals legte der Rat der Stadt fest, daß nur noch diejenigen Bier brauen dürften, die im Besitz der Stadtrechte waren. Vor dem 14. Jahrhundert braute sich fast jede Berliner Familie ihr eigenes Bierchen, denn die Biersuppe galt als eines der Hauptnahrungsmittel.

Erst verhältnismäßig spät wurde das Brauen dann als eigenes Handwerk anerkannt. Während Bäcker, Schuster und Tuchmacher bereits im 13. Jahrhundert ihre eigene Gildeordnung besaßen, verlieh der Stadtrat den Brauern erst 1577 die Gilderechte. Die bei dieser Gelegenheit geschaffene Brauordnung bestimmte allerdings, daß die Brauer nur einmal in vierzehn Tagen Bier herstellen durften. Nur zwischen Mariä Lichtmeß und Ostern wurde es ihnen erlaubt, soviel Gebräu zu produzieren, wie sie wollten.

Doch trotz der Einschränkungen wurde in Berlin zunächst weiterhin relativ viel Bier hergestellt. Nach dem Ende des 30jährigen Krieges existierten in der 15.000 Einwohner zählenden Stadt 250 Brauhäuser, die aber nach den Schrecken des Krieges die Ansprüche an ihren Gerstensaft nicht mehr halten konnten. „Es sind an die Stelle Getränke getreten, die die Gesundheit verderben“, bemerkte ein leicht angewiderter Zeitzeuge.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts büßte Bier zunehmend seine Vormachtstellung als Lieblingsgetränk ein. Die Zahl der Braustätten war von 300 zu Beginn des Jahrhunderts auf weniger als einhundert zurückgegangen. Andere Getränke hatten den Markt erobert: Die minderbemittelten Schichten sprachen vermehrt dem Branntwein zu, die Gutsituierten bevorzugten Tee, Kaffee, französische Weine und Liköre. Auch das Vordringen ortsfremder Biere machte den einheimischen Brauereien zu schaffen.

In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eroberten vor allem aus Bayern kommende untergärige Biere den Getränkemarkt und verdrängten das bis dahin fast ausschließlich bekannte Dünn- oder Weißbier. Am sogenannten Lagerbier schieden sich zunächst allerdings nicht nur die Alkoholgeister. So trank der Patriotische Verein weniger aus Geschmacks- denn aus politischen Gründen weiterhin Weißbier, während die Mitglieder des Demokratischen Klubs wohl nicht ganz uneigennützig das schmackhaftere bayerische Bier bevorzugten. Doch es dauerte nicht lange, bis auch die Patrioten vom Dünnbier den Hals voll hatten und bereits 1875 wurde in Berlin wesentlich mehr untergäriges Bier getrunken. Die erste Brauerei, die untergäriges Bier in der preußischen Hauptstadt bekannt machte, war die Berliner Bock-Brauerei, die 1838 auf dem Tempelhofberg den Grundstein für ihr Unternehmen legte. Einige Jahre später begannen auch die Brauereien Patzenhofer und Schultheiss mit der Herstellung von untergärigem Bier.

Vor allem für Schultheiss wurde die Brauerei ein lohnendes Geschäft. Bereits 1853 produzierte das Unternehmen 10.000 Hektoliter pro Jahr, ein Siebtel des gesamten Biervolumens der damals 41 Berliner Brauereien. Bis zum Jahr 1929 erhöhte das Unternehmen seinen Absatz auf 3,3 Millionen Hektoliter pro Jahr und stieg zur größten Brauerei der Welt auf. Doch mit Beginn und vor allem nach Ende des Zweiten Weltkrieges änderte sich die Lage für die Berliner Brauereien dramatisch. Arbeiter wurden zum Kriegsdienst eingezogen, Werkshallen geplündert, Gerste und andere Zutaten rationiert. Die Qualität des Gebräus verschlechterte sich erneut ganz erheblich. Während unter diesen Umständen auch die westdeutschen Brauereien zu leiden hatten, verloren die Berliner Unternehmen zusätzlich noch ihren Hauptabsatzmarkt im deutschen Osten. Auch 22 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges hatte sich beispielsweise die Schultheiss- Brauerei noch nicht ganz von der Zerstörung ihres Betriebes erholt. Trotz moderner Brauanlagen stieß das Unternehmen zum 125jährigen Jubiläum (1967) nur zwei Millionen Hektoliter Bier aus.

Nachdem die Anzahl der Brauereien seit der Hochzeit der Berliner Braukunst radikal abgenommen hat, werden heute alle Berliner Biere lediglich von Schultheiss, Kindl und Berliner Bürgerbräu produziert. Christiane Badenberg

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