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■ ÖkolumneZweck im Zentrum Von Hermann-J. Tenhagen

Bei Hühnchen und Reis wurde der Chemie-Lobbyist direkt. „Wir haben nichts gegen marktwirtschaftliche Instrumente zum Umweltschutz. Nur kosten dürfen sie nichts. Öko-Steuern sind schon deshalb keine marktwirtschaftlichen Instrumente.“ Verwundern kann das eigentlich nicht. Deutsche Großindustrielle gleichen Anfang der neunziger Jahre deutschen Bürokraten. Sie möchten am liebsten in Ruhe gelassen werden. Eine Zumutung, daß Märkte sich verändern. Ein Unding, wenn ökologische Anpassungsleistungen von Unternehmern gefordert werden. Unternommen wird am liebsten im luftleeren Raum, ohne all die störenden Menschen. Dieser Industrie geht es bei ihrer Klage über zuviel ökologische Bürokratie eben nicht zuvörderst um die Hemmschuhe, die sie am Ärmelaufkrempeln hindern. Es geht vielmehr darum, Veränderungen im betrieblichen Umfeld zu verhindern, die Notwendigkeit, aus dem Sessel aufzustehen, zu minimieren. Doch was bedeutet das für die ökologische Debatte, die derzeit zwischen Öko-Steuer und Öko-Pause oszilliert und sich im wesentlichen um das Wie von Umweltpolitik dreht? Ich behaupte mal: Sowohl die besorgten BürgerInnen, die versuchen ihr lokales Problem-Unternehmen auf den rechten ökologischen Weg zu prügeln, als auch viele aufrechte WissenschaftlerInnen werden von den Sesselpupsern besserenfalls als ökologisches Frühwarnsystem (Industrielobbyisten sagen Terrier) mißbraucht. Schlechterenfalls werden sie gar nur über die Dörfer gejagt.

Die entscheidende Frage wird meist nicht einmal mehr gestellt. Sie lautet: Wie wollen wir in Zukunft leben? Erst wenn wir diese Frage diskutiert und auf demokratischem Wege eine Vorstellung entwickelt haben, muß um Wege zum Ziel gestritten werden. Dann erst ist die Ökonomie dran. Dann ist es ihre Aufgabe, zu beschreiben, welche Leistungen wer erbringen muß, um zu diesem neuen Leben zu kommen. Bleibt ein zentraler Einwand: Was machen wir in der Zwischenzeit? Denn die demokratische Meinungsbildung ist nun einmal nicht die schnellste, die Lösung der ökologischen Probleme duldet aber nicht viel Aufschub.

Erstens: In einigen Bereichen können wir schon auf ziemlich grundsätzliche Entscheidungen zurückgreifen. Wieso überlassen wir die Erreichung des wissenschaftlich und politisch abgestimmten Klimaschutzziels, nämlich 25 Prozent weniger Kohlendioxid in die Luft zu pusten, nicht der Industrie? Industriebetriebe und Gewerbetreibende müßten dann die in ihren Produkten und Dienstleistungen steckenden Kohlendioxidemissionen bis zum Jahr 2005 um diesen Anteil reduzieren. Wer bis zum Jahr 2000 eine zehnprozentige Verringerung in absoluten Größen nicht leistet, dem werden die Daumenschrauben angezogen. Und wer überhaupt nicht spurt, wird dichtgemacht.

Um die effiziente Organisation können sich dann die Betriebswirte kümmern. Ein boomendes Unternehmen könnte beispielsweise Emissionsrechte eines dahinsiechenden Stahlkonzerns erwerben. Und Hertie verkauft die durch hervorragende Logistik frühzeitig eingesparten Emmissionen an die Bremer Fahrradmanufaktur, die sonst ihre Poduktion beschränken müßte. Voraussetzung ist nur politischer Wille: Klimasünder werden so radikal dichtgemacht wie eine salmonellenverseuchte Großküche.

Zweitens: Die Suche nach noch unklaren Zielen kann beschleunigt werden. Besondere Defizite hat hier die Wirtschaft. In den vergangenen Jahrzehnten hat die Industrie Technik erfinden und einführen können, ohne erst einen gesellschaftlichen Konsens für die sich daraus ergebenden Veränderungen erzielen zu müssen. Um so mehr gilt jetzt: Die Unternehmensverbände müssen ihr Bild einer wünschenswerten Zukunft vorstellen. Wie viele Menschen sollen wieviel arbeiten, wieviel Geld verdienen und mit welchen Ressourcen was dabei produzieren. Oder etwas weniger abstrakt: Welche Luftqualität soll in bundesdeutschen Städten gelten, wieviel Krebstote bedeutet das, und was will die Autoindustrie zur Erreichung dieses Ziels beitragen?

Die Chemieindustrie, die immer noch lieber mit dem Kanzler als mit den ihn Wählenden kommuniziert, wird sich schwertun, ihr Bild einer wünschenswerten Zukunft gesellschaftlich zur Debatte zu stellen. Doch wer Gesellschaft mitgestaltet, muß sagen können, wohin die Reise gehen soll.

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