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Roter Porsche im Besetzerkiez

Gesichter der Großstadt: In der Friedrichshainer Kreutziger Straße betreibt die Ärztin Barbara Weichler-Wolfgramm (47) seit zwei Jahren eine Praxis  ■ Von Uwe Rada

Die Punks und Besetzer vor der gegenüberliegenden Häuserfront haben den roten Porsche fest im Visier. Gegen 18.30 Uhr ist es schließlich soweit. Barbara Weichler-Wolfgramm verläßt ihre Praxis in der Friedrichshainer Kreutziger Straße. Am Porsche wird sie von den Besetzern gestellt. „Hallo Barbara“, rufen sie, und Barbara grüßt zurück. Dann setzt sie sich in die Nobelkarosse und fährt zurück in ihr Luxusappartement im großbürgerlichen Wilmersdorf.

Verkehrte Welten, doch nur auf den ersten Blick. Für die Friedrichshainer Szene ist „Barbara“ schlicht die „Besetzerärztin“, und das nun schon zwei Jahre lang. Damals ließ sich die 47jährige in eben jener Straße nieder, einer Sackgasse mit fünf besetzten Häusern. Und seit zwei Jahren parkt der siebzehn Jahre alte Porsche vor den Besetzerhäusern, unbehelligt und ohne Schramme, was für andere Luxusautos nicht immer eine Selbstverständlichkeit ist. „Ein Skandal war der Porsche“, erzählt sie, „eigentlich nur zu Zeiten meines Studiums.“ Aber das hatte die Altachtundsechzigerin schon damals nicht gestört, schließlich war die Nobelkarosse ein Geschenk ihres Mannes. Von dem ist sie nun zwar schon seit langem getrennt, der Porsche jedoch, der blieb.

Hinzu kam die erneute Hinwendung zur politischen Praxis. Den Anlaß gab vor vier Jahren die Räumung der Mainzer Straße, von der auch ihre Tochter betroffen war. Trotz Luxuswohnung in Wilmersdorf und einem gesicherten Einkommen durch zahlreiche Praxisvertretungen entschloß sich Barbara Weichler-Wolfgramm damals, eine Praxis im „Elendsbezirk“ Friedrichshain zu eröffnen. Nicht aus falsch verstandener Sozialromantik, wie sie meint, sondern weil sie selbst im Hamburger Armutsmilieu aufgewachsen ist und weiß, was die Leute brauchen: „Jemand, der ihnen zuhört und die sozialen Verhältnisse kennt. Und wenn man zuhört, dann ist es meist so, daß die Leute selbst am besten wissen, welche Krankheit sie eigentlich haben, als Ärztin braucht man da im Grunde nur noch zu sortieren.“ Barbara Weichler-Wolfgramms Auffassung von Medizin scheint beinahe eine Glaubensfrage. Von den meisten Kollegen wird sie geschnitten, und muß sie einen Patienten an einen Facharzt überweisen, wird ihm nicht selten die Behandlung verweigert, „weil Krätze oder Schleppe eben nicht als Ausdruck der Lebensverhältnisse, sondern als individueller Dreck angesehen werden“, wie sie sagt. Doch nicht immer sind die Patienten das Problem: Als sie vor einigen Wochen durch Zuhören und Zureden eine Frau daran hinderte, sich vom gegenüberliegenden Dach zu stürzen, stürmte die Polizei hinterher die Praxis, weil Barbara Weichler- Wolfgramm angeblich die Rettungsarbeiten behindert habe. Und einem Polen, der sie blutüberströmt aufgesucht hatte und dem die Hand von einer Schrotflinte zerschossen war, hatte das Krankenhaus Friedrichshain zuvor die Behandlung verweigert.

Ihre Patienten, das sind vor allem die BesetzerInnen der Umgebung, aber auch aus Mitte, Lichtenberg und Prenzlauer Berg, viele Schwule und auch ganz normale Bürger aus der Nachbarschaft. Ein bißchen gleicht ihre Praxis einem Kiezladen, ebenerdig, mit großem Schaufenster und Antikriegsplakaten und einem Sprechstundenhelfer, der die großen und kleinen Wehwehchen im Friedrichshainer Leben selbst kennt. Ihr Verhältnis zu den Besetzern? „Achtung“, sagt sie, „Respekt, eigentlich sind das schwierige Patienten, weil sie einem nichts glauben und auf der anderen Seite vertrauen, weil sie wissen, daß ihre Probleme nicht weitergetragen werden, obwohl ich auch in den Besetzerkneipen mein Bier trinke.“

Die Trennung zwischen Wohn- und Arbeitsort ist für die Ärztin kein Widerspruch. „Die einen trennen in Arbeit und Politik und ich eben so, außerdem ist meine Arbeit mehr Politik, als man glauben mag.“ Sie sieht zudem Erfolge ihrer Arbeit. Wo sie vor zwei Jahren noch die schlimmsten Hautkrankheiten angetroffen hat, finde sie nun ein zunehmendes Selbstverantwortungsgefühl und Gesundheitsbewußtsein vor. „Das ist im Grunde soziale Integrationsarbeit, die ich leiste“, sagt sie.

Eine Integration, die nicht ausgrenzt und erfolgreich ist, hat auch ihre Neider: Im Büro eines Lichtenberger Sozialdiakons, sagt sie, „hängt eine von mir geschriebene Krankschreibung, darüber eine Faust mit dem Daumen nach unten“. Sie lacht, und man ahnt, was sie denkt: Die einen können sich ihre Sozialarbeiter aussuchen, die anderen nicht.

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