: Taslima Nasrin ist auf der Flucht
■ Die Schriftstellerin soll sich in ihrer Heimat Bangladesch wegen Blasphemie vor Gericht verantworten / Bei einem Schuldspruch drohen der erklärten Feministin und Religionskritikerin zwei Jahre Arbeitslager
Berlin (taz) – Der „Salman Rushdie von Bangladesch“, die Schriftstellerin Taslima Nasrin, ist am Wochenende in ihrer Heimat untergetaucht. Der Grund: Seit Samstag besteht gegen die erklärte Feministin und Religionskritikerin Haftbefehl. Weil sie in einem Interview mit der indischen Zeitung The Statesman angeblich gefordert hatte, der Koran müsse gänzlich neu geschrieben werden, soll sich die 32jährige vor einem Gericht verantworten. Bei einem Schuldspruch wegen „Blasphemie“ drohen ihr bis zu zwei Jahre Arbeitslager. Um der Gesuchten habhaft zu werden, ließen die Behörden Bangladeschs gestern alle Grenzübergänge schließen.
Nasrin war erst am 28. Mai von einer einmonatigen Lesereise durch Frankreich und Indien in ihre Heimat zurückgekehrt. Das von der in Kalkutta erscheinenden Zeitung wiedergegebene Interview hatte in Bangladesch einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Mittlerweile bezeichnet Nasrin die Äußerungen als „falsch zitiert“. Vor einer Woche demonstrierten mehrere tausend Muslime für eine Bestrafung der Autorin. Am Freitag verhängten Islamisten ein „Todesurteil“ gegen sie. Die Jugendorganisation der regierenden Nationalpartei forderte ebenfalls eine Verurteilung. Am Samstag stürmten aufgebrachte Muslime in der Hauptstadt Dhaka mehrere Buchhandlungen, die Bücher von Nasrin in den Schaufenstern ausliegen hatten.
Auf den schwarzen Listen militanter Islamisten ist der Name der Frauenärztin schon lange verzeichnet. Neu ist, daß nun auch Behörden direkt gegen sie vorgehen. In Bangladesch ist seit 1988 der Islam Staatsreligion. In Nasrins bisher veröffentlichten Werken – sechs Gedichtbände, fünf Romane und drei Aufsatzbände – kritisiert sie den Chauvinismus des islamischen Klerus und den Mangel an Frauenrechten im Islam. Am meisten Aufsehen erregte sie im vergangenen Jahr durch die Veröffentlichung ihres letzten Romans „Lajja“ (Schande). In dem 70 Seiten umfassenden Büchlein erzählt sie das Schicksal einer hinduistischen Familie während der Zerstörung der Moschee im indischen Ayodhya im Dezember 1992. In deutlichen Worten beschreibt Nasrin, wie muslimische Männer aus Bangladesch aus Rache für die Zerstörung ihres Gotteshauses hinduistische Frauen vergewaltigen. Nach Protesten konservativer Muslime wurde das Buch in Bagladesch zwei Monate nach Erscheinen verboten. Im September 1993 forderten die „Soldaten des Islam“, eine obskure religiöse Gruppe aus der Provinzstadt Sylhet, zum Mord an Nasrin auf und versprachen 1.250 US-Dollar Belohnung. taud
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