Müllofen ohne runde Ecken

■ Wilhelmsburg atmet auf: Die Müllverbrennungsanlage kommt nicht nach Neuhof / MVA Altenwerder wird größer als geplant Von Marco Carini

Der Senator ließ dem Bürgermeister den Vortritt. Nachdem gestern hinter verschlossenen Türen im Senat die Entscheidung darüber gefallen war, wo die dritte Müllverbrennungsanlage auf Hamburger Gebiet gebaut werden soll, blieb es Henning Voscherau vorbehalten, das Ergebnis zu verkünden. Das da lautet: Die „Müllverwertungsanlage“ kommt nicht nach Wilhelmsburg, sondern ins benachbarte Altenwerder. Voscherau: „Die langwierige Suche hat sich gelohnt“.

Weil „die Sensibilität der Bewohner in Wilhelmsburg ernst genommen werden muß“, erläuterte der selbsternannte Anwalt „des kleinen Mannes“, wurde Umweltsenator Fritz Vahrenholts Lieblings-Standort in Neuhof vom Senat gekippt. Kein Wohngebiet in unmittelbarer Nähe, keine AnwohnerInnenproteste in Sicht, eine bessere Verkehrsanbindung dazu - plötzlich spricht alles für den Rugenberger Damm in Altenwerder, der ursprünglich nicht einmal in Vahrenholts engere Auswahl gerutscht war. Voscherau wörtlich: „Das Leben ist bunt und spannend“.

Dann durfte endlich auch Fritz Vahrenholt den Beschluß in höchsten Tönen loben. Einst festgelegt auf Neuhof (“Der weitaus beste Standort“), hatte er bereits vor Wochen den Rückzug durchs Hintertürchen angetreten (“Ich kann mit beiden Entscheidungen leben“), um gestern voll hinter der Senatsentscheidung (“Eine optimale Lösung“) zu stehen. Denn das einst für Neuhof erdachte Konzept, die Verbrennungshitze als Fernwärme für die nahegelegene BP Oiltech zu nutzen und so die Dreckschleuder Ölkraftheizwerk Neuhof weitgehend zu ersetzen, sei auch in Altenwerder durchsetzbar - wenn auch zu Mehrkosten von rund 30 Millionen Mark.

Diese Zusatzkosten will der Senat dadurch „abfangen“, daß am Rugenberger Damm ein Duplikat der neuen Müllverbrennungsanlage Borsigstraße entstehen soll - mit entsprechend hohen Verbrennungskapazitäten. Statt der für Hamburg nach Senatsberechnungen benötigten 240.000 Tonnen Jahreskapazität soll die Neuanlage auf 320.000 Tonnen ausgelegt werden. Da sich der Müllofen nur rechnet, wenn er ausgelastet ist, will Hamburg laut Vahrenholt ab 1997 auch „Müll aus Hamburgs Nachbargemeinden verbrennen“.

Während Statt Partei und CDU dem Senat für seine Entscheidung Lob zollten, beklagte die GAL, „daß Hamburg mit dieser Entscheidung zum Müllimportland für andere Bundesländer wird“. Der Zusammenschluß Wilhelmsburger Initiativen feierte hingegen erst einmal sich selber: „Ohne den geschlossenen Widerstand eines ganzen Stadtteils würden heute in Neuhof bereits die Fundamente gegossen“.

Das Schlußwort aber gebührt dem Bürgermeister. Der beklagte, daß durch „vorzeitige Veröffentlichung“ der Neuhof-Pläne „das politische Diskussionsverfahren aus dem Ruder gelaufen“ sei. Und für die verbliebenen KritikerInnen des Müllverbrennungs-Overkills griff er noch einmal in die Kiste seiner politischen Binsenweisheiten: „Man kriegt eben nie alle Ecken rund“.