: Schöngefärbte Nürnberger Zahlen
Ende Mai zählte die Bundesanstalt für Arbeit 421.000 Erwerbslose mehr als ein Jahr zuvor / Dennoch gibt sich Jagoda optimistisch / Betroffen sind insbesondere Ost-Frauen und Langzeitarbeitslose ■ Von Bernd Siegler
Nürnberg (taz) – Die „negativen Folgen schwächen sich ab“, die „Verluste werden deutlich kleiner“, der „Abbau verlangsamt sich“, der „Anstieg der Arbeitslosigkeit schwächt sich ab“ und die „Auftriebskräfte beginnen sich zu regen“. Um Formulierungen ist Bernhard Jagoda, Präsident der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BA), nicht verlegen, wenn es gilt, auf dem Arbeitsmarkt auch „positive Zeichen“ zu entdecken. Schließlich redet ja Jagodas Parteifreund, Bundeskanzler Helmut Kohl, bei jeder Gelegenheit den „Aufschwung“ herbei.
Sprachlich versiert versucht Jagoda („Ich bin Optimist und Realist“), die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu kaschieren. Und die ist trist. So hält nach der neusten Statistik der Bundesanstalt der Beschäftigungsabbau im Westen nach wie vor an. Im Monat Mai waren in Deutschland Ost und West insgesamt 421.000 mehr Menschen arbeitslos gemeldet als ein Jahr zuvor, und die Abnahme der Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vormonat ist nahezu ausschließlich auf saisonale Einflüsse, also die übliche Frühjahrsbelebung, zurückzuführen.
Insgesamt waren Ende Mai in den alten Bundesländern 2.505.900 Menschen ohne Arbeit. Saisonbereinigt entspricht dies einen Anstieg von 9.000 gegenüber dem Vormonat. Nicht saisonbereinigt ging die Zahl der Arbeitslosen zwar gegenüber April um 84.400 zurück, gegenüber dem Vorjahr bedeutet das jedoch einen satten Zuwachs von 358.000 Arbeitslosen. In den neuen Ländern waren Ende Mai 1.159.500 Arbeitslose registriert. Zwar 56.700 weniger als im April, aber 63.000 mehr als ein Jahr zuvor. Die Arbeitslosenquote Ost beträgt jetzt 15,4 Prozent.
Neben saisonalen Einflüssen hat eine „spürbar stärkere aktive Arbeitsmarktpolitik“ die Arbeitslosenzahlen sinken lassen. Keine Rede ist mehr vom Stopp der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder vom Haushaltsloch der Bundesanstalt für Arbeit, die ihr Personal aus Kostengründen bis 1997 immerhin um zehn Prozent abbauen muß. Man scheint wieder aus dem Vollen schöpfen zu können. Insgesamt entlasten derzeit 326.800 ABM-Beschäftigte die Statistik. Das sind 52.700 mehr als beispielsweise im Februar. Die Teilnehmer in Vollzeitmaßnahmen beruflicher Fortbildung und Umschulung erhöhten sich in Ost und West zusätzlich um knapp 10.000 gegenüber dem Vormonat. Eine wundersame Geldvermehrung? Oder steigt die BA nach den Bundestagswahlen im Oktober wieder auf die Bremse und verkündet erneut einen ABM-Stopp? Kein Kommentar von Jagoda.
Bei den Langzeitarbeitslosen gibt es aber auch für Jagoda nichts zu schönen. Die haben sich in Ost und West „besonders stark“ erhöht. So waren in den alten Ländern zuletzt 765.400 Menschen länger als ein Jahr arbeitslos. Nahezu jeder dritte Erwerbslose ist derzeit ein Langzeitarbeitsloser – in West und Ost. Dort waren im April 377.000 Menschen länger als zwölf Monate ohne Arbeitsstelle.
Besonders hart trifft es in den neuen Ländern die Frauen und die Alleinerziehenden. Die Arbeitslosenquote für Frauen ist mit 21,8 Prozent fast doppelt so hoch wie die der Männer (11,1 Prozent). Binnen Jahresfrist erhöhte sich die Zahl der erwerbslosen Frauen um sieben Prozent, die der Männer dagegen um drei Prozent. Die Zahl der Alleinerziehenden lag zuletzt mit 98.400 um ganze 39 Prozent über dem Vorjahresniveau. Trotz alledem, Jagoda ortet „positive Zeichen“. Damit diese sich mehren, ruft er die Arbeitgeber auf, alle freiwerdenden Stellen der Bundesanstalt und nicht den ab Herbst zugelassenen privaten Stellenmaklern zu melden. Zusätzlich müßten derartige Bemühungen durch eine „soziale Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik unterstützt“ werden. Was darunter zu verstehen sei, wollte der BA-Präsident jedoch nicht konkretisieren.
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