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Antifreiheitlich und autoritär

■ betr.: "Das totalitäre DDR-Syndrom", taz vom 30.5.94 / "Tiefer Graben anstelle der Mauer"

Die Revolution in der DDR und die gesellschaftlichen Veränderungen in der vierjährigen Geschichte des wiedervereinten Deutschland haben die alten Lebensvorstellungen und die langjährige Lebensplanung sehr vieler Menschen in Ostdeutschland gestürzt und dadurch zweifelsohne – darin ist Christian Pulz zuzustimmen – psychosoziale Traumata ausgelöst. Die Folgen, u.a. Selbstzweifel und ein fehlorientiertes Geltungsbedürfnis, das sich in Ausländerhaß äußern kann, sind sicherlich auch durch Geschichtsaufarbeitung zu heilen, obwohl viele durch gesicherte Wohn- und Arbeitsverhältnisse, d.h. durch stabile soziale Bindungen schneller therapiert wären.

Doch statt gemeinschaftlicher offener Bewußtseinsarbeit, die zur Annahme der eigenen Biographie und zu einer besseren Orientierung in einer sich wandelnden Gesellschaft führen könnte, empfiehlt Pulz das ihm wohl wichtigste therapeutische Mittel, die sogenannte Regelanfrage im öffentlichen Dienst. Diese wäre vielleicht eine Möglichkeit der Geschichtsaufarbeitung, wenn sie so individuell und geschichtsbewußt gehandhabt würde, wie es Pulz beiläufig andeutet. Doch ist die Regelanfrage in ihrer allgemein praktizierten Form ein Exorzismus, der die einen unabhängig von ihrer konkreten Verantwortlichkeit gesellschaftlich ausgrenzt und die anderen zum Abschwören von ihrem teuflischen Aberglauben – ihren früheren Lebensinhalten und Lebensvorstellungen – nötigt. Und genau das preist Pulz als Ultima ratio einer angeblichen Geschichtsaufarbeitung, indem er, ohne die notwendige scharfe Kritik im Bürokratenjargon, eine „Verbesserung in der Frage der einheitlichen Gestaltung von Maßstäben“ verlangt. Mehr noch, er versteigt sich zu der unglaublichen Behauptung, es bedürfe keiner differenzierten Betrachtung, da es in der gemeinsamen Geschichte nichts Erhaltenswertes gäbe.

Um keinen Zweifel an diesem platten und egozentrischen Geschichtsbild aufkommen zu lassen, würgt Pulz jede irgendwie abweichende politisch-historische Argumentation schon im Ansatz mit demagogischer Polemik ab und denunziert alle, die über ihre eigenen DDR-bezogenen Lebens- und Weltvorstellungen sprechen wollen, als Larmoyeure und Privilegiensüchtige, ja als Terroristen. Dieses Verdikt trifft nicht nur ehemals exponierte Persönlichkeiten, die sich zu rechtfertigen suchen, sondern auch und gerade die Namenlosen, die für Pulz' Geschichtsaufarbeitung offenbar keine Bedeutung haben. Diese verächtliche und arrogante Denkungsart, die Pulz leider mit einigen seiner Bündnisfreunde teilt, ist nichts weniger als antifreiheitlich und autoritär.

Es ist eine alte Denkungsart, die sich unter verschiedenen Namen durch die deutsche Geschichte zieht und die wir als Kern der stalinistischen Ideologie kennengelernt haben. Sie verwehrt eine Geschichtsaufarbeitung, die nur offen und differenzierend sein kann, und befriedigt allein die moralische Dünkelhaftigkeit ihrer Apologeten. Sie dient letztlich jenen, die aus politischem Pragmatismus jede individuelle und kollektive Erinnerung an die DDR auslöschen möchten (allen voran die Bundesregierung). Die Konsequenzen Pulzscher Denkungsart sind eben Geschichtslosigkeit, Selbstzweifel und ein fehlorientiertes Geltungsbedürfnis, das in ausländerfeindliche Pogrome pervertieren kann.

Es bleibt zu hoffen, daß diejenigen, deren geschichtliche Erfahrung Pulz mit einer haßerfüllten Geste glaubt wegdrängen zu können, ihn und seine Gesinnungsgenossen nicht wieder in politische Funktionen wählen. Franz Jäger, Jena

betr.: dito, und „Tiefer Graben anstelle der Mauer“

„Es bleibe ein Handicap, in Deutschland ein Ostdeutscher zu sein.“ So frage ich hinzu, wie es denn für einen ehemaligen Westdeutschen aussehen mag, der jetzt in Ostdeutschland lebt?

Ja, wie wird sich denn diese „widerlich larmoyante Nostalgiewelle“ auf jene zurückbewegen, eine Handvoll Idealisten, die damals nach dem Mauerfallen so freundlich rüberkomplimentiert worden sind, jene, die dem Habenanspruch des Westens davongelaufen sind und glaubten, es gäbe jene menschliche Offenheit, die zum Brückenschlagen so notwendig ist.

Es gibt auch solch „larmoyante“ Stimmen im Westen, die ja noch zusätzlich den Finger auf das Heulen und Zähneklappern der „ungerechten und anspruchsvollen Ostdeutschen“ ausstrecken. Es muß doch Nutznießer geben, die dieses Hetzklima als die sich freuenden Dritten wünschen und es entsprechend zu arrangieren wissen. Daß nicht von all den vielen Verantwortlichen mal ein Zeichen von menschlicher Wärme, Verstehenlernen, seelischem Einfühlungsvermögen auszugehen vermag. Wir wissen um diese tragisch-berechnende Methode, die weiteres Leid einkalkuliert. Werde menschlicher, sollten die Wähler auf den Plätzen unseren Scharfmachern zuschreien. Aber hört man nicht nur dieses „Gib mehr“? Hartmut Lange, Wulfersdorf

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