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Einsam zwitschert der Minol-Pirol

„Benzin“: Ost-West-Tankstellen-Musical im Weiten Theater uraufgeführt  ■ Von Petra Kohse

Man darf Udo zu ihm sagen und seine „panikmäßige“ Hose bewundern: aus dem Westen und mit echtem weißen Streifen. Aber auch für 20.000 Mark West will er die Tankstelle „an der alten Reichsautobahn“ nicht verkaufen, der Udo, weil die doch eigentlich seinem Vater gehört.

Der hatte sich vor Jahren in den Westen abgesetzt und vorher noch seinen älteren Sohn für tot erklärt. Jetzt kommen beide wieder, der entlassene Stasi-Spitzel und der Vater mit seiner neuen Frau. Die ging früher auf den Strich, verliebt sich bald in Udo und bekommt ein Kind von ihm.

Der Stasi-Bruder wird vom Vater erschossen, und auch Udo bekommt bei einem Streit einen der neuen Zapfhähne auf den Kopf geschlagen. Denn mittlerweile ist alles neu und gelb-lila ausgestattet, das haben die beiden Feen gemacht, die den Laden als „West- Tussis“ erst kaufen wollten und das Geschehen auch ansonsten moderierend oder kommentierend begleiten: Anne Swoboda und Irene Winter spielen und singen alles, was so anfällt: ein nicht allzu antiker Chor im Gewand des Minol-Pirols.

Was da im ehemaligen Dienstleistungswürfel des Weiten Theaters inmitten Hellersdorfer Plattenbauten als Musical uraufgeführt wurde, bewegt sich zwischen Stufe fünf und sechs der nach oben offenen Kolportageskala: Zerüttete Tankstellenpächterfamilie im Wendestreß, Liebeskitsch zwischen Sohnemann mit Mutterkomplex und Rinnsteinmädchen, die vom leiblichen Vater mißbraucht wurde und zu ihrem Gatten jetzt Papi sagt – ein Hauen und Stechen, Feilschen und Balzen, und ein Traum nach dem anderen platzt. Am Ende wird auch das Baby erstickt, damit es mit dem erschlagenen Udo-Vater nach Hawaii fliegen kann: „Versagerland“ ist abgebrannt. Das könnte eine recht ernst gemeinte Klamotte sein, die Bühnenbildner Philip Stölzl da verfaßt hat, und streckenweise ist sie das auch tatsächlich – dann aber mit dräuendem Betroffenheitsunterton. Als musikalischen Kontrapunkt hat Mike Hille allerdings so eine Art persiflierendes Hitparadenpotpourri darübergestülpt, durchsetzt mit ein bißchen Lindenberg. Das schmalzt und röhrt und wird dann eben so gesungen, und die Minol-Pirole schawummen im Background, daß es zuweilen wirklich eine Freude ist, die Zielrichtung meist aber zusätzlich verwischt. Und Diana Neumann spielt eine andere Christiane F. und Torsten Gesser den Tankstellenprügelknaben mit Udo im Herzen. Und Stephan Hellmann als verwessiter Vater erinnert ein bißchen an Jürgen von der Lippe, und Wieland Jagodzinski wankt als Stasi-Cowboy Richtung Niemandsland, und alle zusammen wissen eigentlich doch nicht so richtig, in welchem Akt sie gerade was spielen.

Tobias Veit, den das Programmheft als Regisseur nennt, bekam das Ganze kaum in den Griff, es gibt – vor allem in der kleinen Liebestragödie – mal Töne eines realistischen Volksstückes zu hören, dann wieder wechselt echte mit falscher Albernheit ab. Da nutzt es auch nichts mehr, daß die Mitglieder der Band (Mike Hille, Kai Bohun, Ernst König und Andreas Grahl) alle eine Brille tragen, sich ein schwarzes Baseballkäppi aufgesetzt haben und genauso düster-inspiriert aussehen wie Bühnenbildner-Autor Stölzl, der zu Vorstellungsbeginn charmanterweise noch Sitzkissen fürs Premierenpublikum herbeischafft – im Grunde ist das Kurzstreckenunterhaltung.

Im Gedächtnis bleiben nur die beiden Tanksäulen, das traurige Ostmodell und der schicke West- Einspritzer, die, in der Mitte der kleinen Spielfläche, die Wendezeit schmückend belegen, aber auch nicht zusammenhalten, was hier alles auseinanderfließen will.

„Benzin“ von Philip Stölzl und Mike Hille, nächste Aufführungen: 15./16.6., 29./30.6., 10 Uhr, 17./18.6., 19 Uhr, Weites Theater, Schkeuditzer Straße 3, Hellersdorf.

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