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Die Sache durchziehen

100mal „Schreinemakers live“ – Eine Wirkungsanalyse  ■ Von Klaudia Brunst

Anke Marsemann, 33, Mutter von vier Kindern und Gattin eines Fernfahrers, ist einem Medienereignis aufgesessen. Ein Schweizer Millionär sucht derzeit unter größter Aufmerksamkeit der Presse eine Frau, die ihm sein Wunschkind gebärt. Gegen das Entgeld von einer Million Schweizer Franken soll sie das Kind für ihn – mit ihm? – aufziehen. Der Mann ist 55, seine Traummutter soll aber keinesfalls über 25 sein.

Anke ist also viel zu alt (und viel zu unattraktiv) für diesen Mann. Gleichwohl hat sie sich als eine von 7.000 Frauen um die Stelle als Leihmutter beworben. Ihr Ehemann war aus verständlichen Gründen dagegen. Man lebt wegen dieses Konflikts (aber sicher nicht nur deswegen) mittlerweile in Scheidung. Anke will „die Sache jetzt trotzdem durchziehen“.

Gegen alle Regeln

Stimmten die allgemeinen Regeln der Fernsehkunst, dürfte „Schreinemakers live“ nicht der geringste Erfolg beschieden sein: Die Sendung ist mit zweieinhalb Stunden viel zu lang, mit oft mehr als vierzig Gästen viel zu kompliziert, mit ihrem Gemischtwarenangebot von Sex und Crime, Betulichkeit und Information zu disparat. Und doch ist Margarethe Schreinemakers, die letzte Woche Anke Marsemann in ihrer 99. Sendung zu Gast hatte, die Sat.1-Quotenkönigin. Bis zu neun Millionen ZuschauerInnen schalten jeden Donnerstag ihre „Infotainmentshow“ ein.

Wie kommt es also, daß ausgerechnet ein so unmediales Format zum medialen Paradigma des Unterhaltungsfernsehens werden konnte? Ich selbst würde mich in meiner Mediennutzung weder als naiv noch als bedürftig einstufen – ich schaue nicht aus Einsamkeit fern und muß mir die Welt durch die Flimmerkiste auch nicht erklären lassen. Trotzdem gehörte auch ich zu den neun Millionen, die Anke Marsemanns Auftritt gespannt verfolgten. Denn „Schreinemakers live“ löst an einem Tag in der Woche ein, was mir das Fernsehen als Unterhaltungsangebot jeden Tag verspricht, aber recht selten einlöst (was mich dann, wie jedes uneingelöste Versprechen, maßlos kränkt. Deswegen schimpfen wir so gerne über das Fernsehen): Margarethe Schreinemakers holt mir Menschen, die ich aus gesellschaftlichen Gründen zwar nicht kennenlernen möchte, aus Neugier aber sehr wohl gerne kennen würde, einmal die Woche in mein Wohnzimmer. Ohne die Regeln sozialer Höflichkeit zu verletzen, kann ich mich von meinem Sessel aus, so lange ich möchte, an ihnen weiden. Kann sie begaffen, verlachen, und schließlich – so ich will – als Idioten verdammen.

Ich bin von Ankes Auftritt, von ihren Denk- und Handlungsfiguren, die mir in höchstem Maße fremd sind, entsetzt und fasziniert zugleich. Man sieht Margarethe Schreinemakers an, daß es ihr nicht viel anders ergeht. Aber es gibt einen elementaren, ja für das Fernsehen vielleicht sinnstiftenden Unterschied zwischen ihr und mir: Ich habe mir Anke ins Wohnzimmer geholt, sie aber hat Anke in ihre Sendung eingeladen. Nicht ich, sondern Margarethe muß mit Anke tatsächlich kommunizieren, und zwar immer eingedenk jener komplizierten Regeln, die ein solcher Kommunikationsprozeß in sich birgt: Als Gastgeberin darf sie ihr Ensetzen nicht allzu deutlich zeigen, sie kann es aber auch nicht verbergen (sonst wäre ich ja von ihrem Intellekt enttäuscht). Sie muß verhindern, daß sich Anke vor laufender Kamera noch weiter entblößt, darf sie aber auch nicht allzusehr bremsen (sonst würde ich ja desinteressiert umschalten).

Es ist ein komplizierter Kommunikationsprozeß, den sie allein zu verantworten hat und der jeden Augenblick ins Tragische (und damit ins Geschmacklose) abgleiten kann. Ich bin angesichts dieser Gefahr äußerst glücklich, an diesem Interaktionsprozeß keinen Anteil zu haben, sondern ihn gefahrlos verfolgen zu können. Genüßlich male ich mir aus, wie sich Ankes Leben zum Schlechten wenden wird: Sie wird nicht ausgewählt werden, sondern schon bald mit ihren Kindern die eheliche Wohnung verlassen müssen, womöglich also ihre gesamte soziale Existenz einbüßen. Ob sie wohl mit der Sozialhilfe zurechtkommen wird?

Ohne mich hinter den Regeln sozialer Höflichkeit verschanzen zu müssen, unterhalte ich mich für siebeneinhalb Minuten mit ihrem Unglück. Es ist Margarethe Schreinemakers, die ihren Kopf hinhalten muß, wenn die Feuilletons nach der Sendung wieder über sie herfallen, von Sensationsheische sprechen, ihren sozialen Bauchladenjournalismus geißeln.

Sichere Distanz

Einen Tag nach meiner Begegnung mit Anke lernte ich eine Frau kennen, die mich seit langem beschäftigt. Ich sehe sie jeden Tag in dem Imbiß, in dem ich meine Mittagspause verbringe. Wenn ich komme, sitzt sie schon vor dem Spielautomat und verliert allein in meiner Anwesenheit mehr Geld, als ich für mein Essen ausgebe. Wenn ich später als üblich komme, kann sie sich ob ihrer vielen Damengedecke (ein Amaretto, ein Fruchtsaft) kaum noch auf dem Barhocker halten. Ob sie ein festes Einkommen hat, das ihr diese Lebensweise ermöglicht, frage ich mich immer. Oder trinkt und spielt sie sich hier unter meinen voyeuristischen Augen dem endgültigen sozialen Abstieg entgegen?

Am letzten Freitag mittag also sprach mich die Kreuzberger Daddelkönigin unvermittelt an. Sie hatte mich zufällig angerempelt, und wir waren somit gezwungen, ein paar höfliche Sätze auszutauschen. Ich habe sie nicht nach den Dingen gefragt, die mich eigentlich an ihr interessieren. Ich habe mich natürlich nicht getraut. Im Gegenteil. Seit wir uns nun kennengelernt haben, müssen wir uns jetzt jeden Mittag grüßen. (Ob sie mich wohl aus Einsamkeit anrempelte?) Ich kann sie jetzt nicht mehr aus der sicheren Distanz meiner Eßecke anstarren, mich mit ihrem zunehmenden äußeren Verfall beschäftigen, mir ungestraft Fragen stellen und diese dann selbst(gerecht) beantworten. So etwas geht eben nur im Fernsehen. Manchmal bei „Meiser“ (wenn er gute Gäste hat), selten bei „Ilona Christen“ (die viel zu burschikos agiert). Aber immer bei Schreinemakers. Eine verläßliche Größe im Fluß der voyeuristischen Bilder.

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