: Wer richtig Türkisch kann, lernt auch besser Deutsch
■ Zweisprachige Alphabetisierung in der Theodor-Haubach-Schule
„Also ,yuva' (türkisch für ,Nest') klingt doch so, als wenn es sich mit ,j' schreiben würde, wie im Deutschen ... oder ist das in Türkisch anders?“ Der siebenjährige Tayfun steht an der Tafel und hat die Qual der Wahl: Er muß sich entscheiden zwischen der einen Sprache, die er von seinen Freunden in der Schule tagtäglich hört und die auch er fließend spricht, und der anderen, in der zu Hause seine Eltern und Verwandten mit ihm reden – zwei Sprachen, die er zudem beide noch nicht richtig schreiben kann. Nihal Haytaoglu, seit zwei Jahren Türkischlehrerin an der Haupt- und Realschule Theodor Haubach (THS), hilft ein bißchen nach: „Denk an ,yyyyuva', nicht an ,Junge'“, sagt sie auf Türkisch zu dem ABC-Schützen und spricht das zweite Wort wie „Dschunge“ aus.
Solche und ähnliche Probleme, die bei den SchülerInnen durch das ungewollte Vermischen zweier Alphabete entstehen, muß die Türkin täglich lösen, wenn sie an der Schule in der Altonaer Haubachstraße muttersprachlichen Unterricht für die Kinder ihrer Landsleute erteilt. Die zehn Jungen und Mädchen, mit denen sie fünfmal in der Woche spricht, singt und schreiben übt, sind die ersten türkischen SchülerInnen an der THS, die seit der Vorschulklasse in zwei Sprachen Lesen und Schreiben lernen. Die „bilinguale Alphabetisierung“ gehört zu einem umfangreichen Lehrprogramm, mit dem die THS in Zukunft ihren türkischen SchülerInnen die Möglichkeit bieten will, die Sprache ihrer Eltern durchgehend von der Vorschul- bis zur 10. Klasse belegen zu können – ein Konzept, das an der Schule erstellt wurde, für dessen Realisierung allerdings noch eine zweite LehrerInnenstelle für Türkisch nötig ist.
Diesem Konzept zufolge könnten die türkischen SchülerInnen nach dem Grundlagenunterricht in der Vorschule und den ersten beiden Klassen bis zur 7. Klasse vormittags muttersprachlichen Unterricht besuchen, im Rahmen des Regelunterrichts. Ab dem achten Schuljahr ändert der Sprachunterricht seinen Status, interessierte Jugendlichkönnen Türkisch als zweite Fremdsprache aus dem Wahlpflichtbereich wählen – eine Möglichkeit, die die THS heute schon bietet.
Das Ziel: Türkisch von der Vorschule bis zum Abitur
Wenn die SchülerInnen nach drei Jahren die 10. Klasse abschließen, steht ihnen die Möglichkeit offen, an die Oberstufe der Max-Brauer-Schule zu wechseln, wo sie ihr Abitur mit ihrer Muttersprache als Prüfungsfach bauen können.
Die zweisprachigen ABC-Schützen, die mit Nihal Haytaoglu in dem kleinen, noch recht improvisiert wirkenden Raum sitzen, während ihre deutschen MitschülerInnen Bastelunterricht, Spielstunde oder Deutsch-Nachhilfe haben, stehen zwar noch ganz am Anfang dieses Unterrichtsprogramms, erste Erfolge des Unterrichts sind aber bereits bemerkbar: Sie wechseln beispielsweise fließend von einer Sprache in die andere, vermischen jedoch kaum noch unkontrolliert beide Vokabulare innerhalb eines Satzes. „Es ist ein wichtiges Ziel des Unterrichts, den Kindern die bewußte Unterscheidung der Sprachen beizubringen“, erklärt die Lehrerin Haytaoglu. Andernfalls drohe eine „doppelte Halbsprachigkeit“, bei der die Kleinen weder Türkisch noch Deutsch völlig beherrschen.
Dieser Unterschied läßt sich nach Haytaoglus Angaben auch in den Klassenstufen 5 bis 7 ausmachen, die sie neben den Erstklässlern momentan schon unterrichtet. Türkische SchülerInnen dieser Klassen, die früher beispielsweise an der Schule Rothestraße in zwei Sprachen alphabetisiert wurden, sprächen nicht nur viel sicherer Türkisch, auch Deutsch beherrschten sie besser. „Kinder, die in der eigenen Sprache gut sind, können auch eine andere besser lernen“, meint Haytaoglu. Auch berichteten SchülerInnen ihr, wie sicher sie im Umgang mit der Sprache ihrer Eltern geworden seien. „Die Angebote an anderen Grundschulen, also islamischer Religionsunterricht und Lesen in Türkisch, reichen nicht aus, um die nötigen Grundlagen zu legen“, so die Lehrerin. Die THS gehe daher in ihrem Konzept ein Schritt weiter eiter.
Das Kollegium der THS unterstützt zwar ihre Arbeit, fährt Nihal Haytaoglu fort, es sei aber vorauszusehen, daß sie mit Beginn des kommenden Schuljahres, wenn neue Jahrgänge das Lehrangebot wahrnehmen wollen, den Türkischunterricht nicht mehr alleine bewältigen kann. Aus diesem Grund hat die Schule bereits eine zweite Lehrkraft für Türkisch beantragt, die Bewilligung für diese Stelle steht allerdings noch aus. Als erste Maßnahme wird die Schule im kommenden Schuljahr aber schonmal einen größeren Raum für den muttersprachlichen Unterricht zur Verfügung stellen.
In dem momentan genutzten Klassenzimmer sitzen Tekgül, Tayfun, Özlem und ihre SchulkameradInnen nämlich dicht an dicht, während sie mit ihrer Lehrerin lesen und türkische Kinderlieder singen – gemütlich haben sie es sich aber trotzdem gemacht. In den Schränken stehen deutsch-türkische Bücher und eine Ausgabe vom „Küçük Prens“, „Der kleine Prinz“ von Saint-Exupéry, an den Wänden haben die ABC-Schützen neben einer Tafel mit dem türkischen Alphabet auch eine Landkarte der Türkei, einen viersprachigen Kalender und türkisch beschriftete Zeichnungen aufgehängt. Die Frage, ob ihnen der Unterricht Spaß macht, beantworteten jedenfalls alle mit einem lauten „Jaaaa!“. Die Vorfreude auf die Türkischstunden sei mitunter so groß, berichtet Nihal Haytaoglu, daß die ErstklässlerInnen sogar zum Lehrerzimmer kommen und sich lauthals bei ihr beschweren, wenn sie nicht pünktlich mit dem Sprachenunterricht beginnt. Florian Sievers
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