Wand und Boden: Eine stimmige Form von Simultanität
■ Kunst in Berlin jetzt: Lena Liv, Hye Sung Hwang, Nami Makishi, Yun Kyung Lee und Ursula Kaiser
„Le cose e le cose che sono“ in der Galerie Andreas Weiss: Das sind Kinder auf alten Fotografien, die geisterhaft betagt wirken und scheinbar stabile Spielzeugeisenbahnen, die nicht aus Eisenblech, sondern aus Papier sind. Beunruhigenderweise zeigen sie zudem nur Güterzugwaggons. Auschwitz? Das Zusammentreffen von Fotografie und Papierobjekten geschieht zumeist in oxydverfärbten Stahlrahmen, die wie schwere Eisenpforten der Erinnerung funktionieren. 12 Kinder, 1992, zeigen in einer massiven Eisenkassette ernste Jungengesichter in neuen Schwarzweißabzügen alter Fotos, als Zeugen einer gelebten Zeit. Über diese schweigt sich Lena Liv, 1952 in Leningrad geboren und heute in Israel und Italien zu Hause, aus. Zumindest in der formalen Gestaltung ihrer Ensembles: Kontextlos tauchen die Kinder, aber auch der gedeckte Tisch, das Glas Wasser, das Krankenlager oder die Ordensschwester aus dem schattigen Dunkel des fotografischen Abzugs auf. Vielleicht ist zuviel schönes elegisches Sterben in den Dingen und den Dingen, die sind. Die Fotoarbeit Hase, 1993/94, und der Mullstreifen in der Eisenbox erinnern an Motive und Materialien von Beuys, wobei das penible Arrangement und die sterile Sauberkeit von Motiv und Material bei Liv auffallen. Da möchte man wissen, ob die technisch bewunderungswürdig gefertigten 25 schwarzen Papierkreisel zum Tanzen gebracht werden könnten.
Bis 2. Juli, Nollendorfstraße 11-12, Schöneberg, Di-Fr 14-19, Sa 11-15 Uhr
An den gegenwärtigen Präsentationsweisen von visueller Kunst scheint die Verbindung mit Audioinstallationen und Klangskulpturen immer interessanter zu werden. In der Kombination mit plastischen Objekten schafft der Klang notwendige Irritationen, Brüche und Paradoxien. Dem skulpturalen Gegenstand wird sein Recht auf Vereinzelung belassen und gleichzeitig ist er mit einer Zeitlichkeit konfrontiert, die ihm eine widersprüchlich nervöse Bewegtheit gibt. Damit das Ästhetikum nicht zum Anästhetikum wird. In der Neuen Galerie der Hochschule der Künste zeigt Hye Sung Hwang große dickbäuchige Vasen, die entgegen ihrer erdenschweren Anmutung aus leichtem Papiermaché hergestellt und mit Farbpigmenten in unterschiedlichen Blauschattierungen eingefärbt sind. In Kontrast zu ihrer rauhen, griffigen Oberfläche und ihrem prallen Volumen stehen Nami Makishis blanke Blechobjekte; schlanke, gelötete Stative, auf denen eine Art Schalltrichter wie eine Blütenknospe fragil auskragt. Im fernöstlichen Dreigestirn hat Yun-Kyung Lee die Komposition angelegt, deren Grundprinzip zunächst in der Form der gewählten Klanginstrumente liegt. Die Klänge von allem, was rund ist, Gong, Becken und afrikanische Trommel, werden mit Naturgeräuschen, vom Atem bewegten Metallen und Hölzern und auch einem Celloton in eine akustische Rauminstallation verwoben. Aus einem auf dem Boden plazierten Tieftöner sind Fragmente von „Venti“ zu hören, als Zitat einer Klangskulptur von Mario Bertoncini, die am 22. Juni in Mailand uraufgeführt wird. Drei Bänder versorgen diesen und weitere acht an den Wänden angebrachte Lautsprecher mit einem heftigen Klang, der die Wände des Raumes auseinanderzudrücken scheint, während andere harte rhythmische Passagen den Raum eher zum Pulsieren bringen. Dunkle Klänge scheinen aus den Vasenbäuchen zu kriechen und schrillere Töne werden unwillkürlich mit den kühlen glatten Metalltrichtern in Verbindung gebracht. Konzentrische, auf Wand und Boden gemalte, vom Tieftöner ausgehende Kreise verstärken optisch den Eindruck eines einheitlichen Systems, in dem Rezipient und skulpturale Objekte mit dem treibenden Impuls des Klangs geradezu zusammengezwungen werden: jedoch in einer völlig stimmigen Form von Simultanität.
Bis 17. Juni, Grunewaldstraße 2-5, Schöneberg, Mo-Sa 11-19 Uhr, nicht So. u. Di
„Das große Fahrzeug“ von Ursula Kaiser bei Allgirls ist auch „ein Würfelspiel“. Doch egal wie man, besser: frau würfelt, gewinnen wird frau nie. Die sechs Bilder, die schließlich auch als konkrete Würfelskulptur im Raum aufgebaut sind, zeigen doppelstöckige Busse, verwoben und übermalt mit Bildmotiven, die folgenden Themen gewidmet sind: „Sex Conditioned Bus“ (meint die sexuelle Zurichtung der Frau), „Model Services“ (meint Idealbilder und Klischees), „Exposing Tours“ (meint das Bloßstellen von Frauen), „Double Happiness“ (Riten der Zweisamkeit), „Transfer Vertical“ (die standhafte Frau) und „Panorama Overland“ (der Frauenkörper als Landschaft). „Das große Fahrzeug“ ist, wie unschwer zu erkennen, eine Metapher für die patriarchale Kultur und für deren sattsam bekannte Frauenbilder. Für Verhaltensnormen, durch die ihre Adressatinnen funktionstüchtig und „in Fahrt“ bleiben, wie Ursula Kaiser meint. Vielleicht ist ja ihr ebenso sattsam bekanntes, feministisches Verfahren, Picassos Frauen und die von Matisse, Dürer und Cranach, Beardsleys Salomé ebenso wie Allan Jones' fetischistische Tisch- und Sesselfrauen stellvertretend für die Phantasien aller möglichen Blödmänner im Zitat zu destruieren, am Ende erfolgreich. Vielleicht zeigen dann irgendwann nicht nur Frauen Ermüdungserscheinungen angesichts der stereotypen Bildformeln, sondern auch Männer. Vielleicht fällt uns dann allen ja nochmal was Neues zum Thema ein, mit dem auch eine Gewinnchance verbunden ist. Der Verdacht liegt aber nahe, daß dann mit mehr Witz, mehr Schamlosigkeit, kurz härteren Bandagen gearbeitet werden muß. Um obszöne Klischees zum Platzen zu bringen und „Das große Fahrzeug“ zu entern, reicht das Ticket bei Allgirls nicht aus. Brigitte Werneburg
Bis 25. Juni, Kleine Hamburger Straße 16, Mitte, Mi-So 16-19 Uhr
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