: Kämpfe in der Hauptstadt Tschetscheniens
■ Nach einer regierungsfeindlichen Demonstration wollte Präsident Dudajew „ungesetzliche bewaffnete Banditen“ entwaffnen lassen / Mindestens 15 Verletzte
Moskau (dpa/taz) – In Grosny, der Hauptstadt der abtrünnigen russischen Kaukasusrepublik Tschetschenien, sind nach Berichten der russischen Nachrichtenagentur Interfax bewaffnete Kämpfe zwischen Truppen der Regierung und der Opposition ausgebrochen. Es gebe zahlreiche Opfer auch unter der Zivilbevölkerung, hieß es unter Berufung auf Angaben der Opposition.
Die Kämpfe, bei denen auch gepanzerte Militärfahrzeuge eingesetzt wurden, sollen laut Interfax nach einer regierungsfeindlichen Kundgebung bereits am Samstag begonnen haben. Die DemonstrantInnen hätten den Rücktritt von Präsident Dschochar Dudajew gefordert, der Organisator der Veranstaltung, der Oppositionelle Ruslan Labasanow, sei mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht worden. Das Innenministerium in Grosny sprach dagegen von „ungesetzlichen bewaffneten Banditen“, die von Spezialeinheiten entwaffnet worden seien.
Das an Georgien grenzende Tschetschenien, das kaum eine Million EinwohnerInnen zählt, hatte sich vor zwei Jahren von Rußland losgesagt. Doch die Hoffnungen auf einen unabhängigen demokratischen Staat verblaßten bald. Dudajew, ein General der Roten Armee, entpuppte sich als selbstherrlicher Kaukasusdespot, der schon im Juni letzten Jahres eine Demonstration der Opposition gewaltsam beenden ließ. Bereits damals beschossen Panzer die Bürogebäude der Opposition, das Parlament tritt seitdem nur noch zusammen, um die Vorschläge des Präsident zu beraten.
Dennoch sind Dudajews politische Gegner in den letzten Monaten wieder stärker geworden. Unter Führung des ehemaligen Vorsitzenden des Obersten Sowjets Rußlands, Ruslan Chasbulatow, wollen sie erreichen, daß Tschetschenien Abgeordnete in den Russischen Föderationsrat entsendet. Dem Druck nach einer engeren Anbindung an Moskau konnte sich selbst Dudajew nicht ganz verschließen, am 7. Juni sollten Verhandlungen über den zukünftigen Status der Republik stattfinden. Diese wurden dann jedoch kurzfristig von Moskau abgesagt.
Aber gerade diese Absage könnte, so BeobachterInnen, eine Erklärung für die jetzigen Kämpfe liefern. Angesichts der wachsenden Opposition gegen Dudajew sei man in Moskau der Ansicht, diesen als Gesprächspartner nicht mehr ernst nehmen zu müssen. Jelzin rechne nicht nur mit dem baldigen Sturz des Präsidenten, er beschleunige ihn auch. Da Dudajew schon vor Monaten Waffen an alle „Verteidiger der Unabhängigkeit“ Tschetscheniens verteilen ließ, muß nun mit einer Eskalation der Kämpfe gerechnet werden. her
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen