Fegefeuer on the rocks

■ Die Hölle auf Erden, eiskalt serviert: Premiere für Sartres „Geschlossene Gesellschaft“, neu inszeniert im Schauspielhaus

Faulige Sümpfe, ätzende Feuer, schreiende Leiber und Heerscharen marternder Teufelchen: So springt uns die Hölle schon vom Programmheft ins Gesicht. Die Illustration hat das Theater bei Hieronymus Bosch geborgt. Wohl auch, um den Abstand zu den abgeklärten Vorstellungen heutiger Visionäre zu betonen: In Sartes Hölle z.B. fehlt es ja an Schwefeldampf und Grillrosten völlig; es herrscht ganz die Nüchternheit der intellektuellen Moderne. So kalt schaut die Unterwelt noch in der neuen Bremer Inszenierung von Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ aus, vierzig Jahre nach der Uraufführung. Mit den mittelalterlichen Visionen Boschs hat diese allerdings noch die zentrale Botschaft gemein: Die Hölle, das ist nicht irgendein entlegener Ort fürs Nachleben; es ist die Hölle auf Erden, der wir ins Auge sehen müssen.

Ganz und gar irdisch ist also auch das Höllenbühnenbild geraten. Frank Camier hat die teuflische Szenerie in Form einer Wellblechhütte gegossen; halb Wohncontainer, halb Wartehäuschen, leiht sie dem Spiel ihre rostigen Züge. Es herrscht grelle Neonbeleuchtung; drei, allerdings höllisch banale Plastikstühle komplettieren die Bremer Vorstellung der Unterwelt. Nein, nicht ganz: Als Scherz am Bühnenrande stellt Camier den vor Pein und Hitze zergehenden Sünderlein einen Radiator ins Zimmer.

Das trifft den Geist der Inszenierung schon recht gut. In gemäßigt postmodernem Ton haben Barbara und Jürgen Esser, die sich die Regie teilen, uns die alte Sartrehölle ausgemalt. Man hält sich an den salbungsvollen Ton der Klassiker; gebrochen wird das eisgekühlte Pathos durch ein paar allzu zaghaft eingestreute, komische Momente. Den vor markigen Worten und Weltweisheiten starrenden Text sagen die drei Verdammten beinahe lieblos auf; bisweilen tapern die holzgeschnitzten Charaktere richtig müde ihre abgezirkelten Bahnen im Höllenklohäuschen. Inès, die Lesbe: Brigitte Horn muß sie als eisige Zimtzicke mimen; Garcin, der feige Pazifist: Ihm kann Reinhold Ohngemach auch keine tiefgründigeren Züge entlocken. Allein das blonde Gift Estelle (Christine Sohn) darf ein wenig aus dem starren Rahmen fallen, munter mit den hübschen Augen rollen und ihre Posen überziehen. Doch nicht zu sehr – ansonsten muß alles schön nach Fahrplan laufen.

Auf das komödiantische Talent ihrer Besetzung haben die Essers letztlich doch nicht bauen wollen. Allzu schrill und lustig darf das Höllenfeuer dann doch nicht züngeln. So nehmen sie auch die einzig wirklich groteske Figur dieser Inszenierung rasch aus dem Spiel: Cornelia Kempers, die Sartres Höllenkellnerin als Schlampe von wahrhaft diabolischen Ausmaßen spielt – nur ein paar schnodderige Sätze lang, leider. Da ist der Respekt vor den Klassikern dann doch zu groß.

Die Erkenntnis aus Sartres zeitlos schönem Spiel kommt so natürlich in ihrer ganzen Erdenschwere und Überdeutlichkeit herüber: Die Hölle ist schließlich das, was sich die Menschen gegenseitig antun, was zwischen ihnen passiert. Das aber ist auf dieser Bühne nicht allzuviel. Thomas Wolff

Nächste Aufführungen: 15., 16. und 18.6., jeweils um 20 Uhr im Schauspielhaus