■ Cash & Crash: Euro-Wahlen längst Geschichte
Berlin (taz) – Nicht nur die Wähler nahmen die Europawahlen offenbar nicht sehr ernst – auch die Börsianer nicht. Die Wahlergebnisse hatten jedenfalls auf die Kurse von Aktien, Anleihen und Währungen viel weniger Einfluß als neu auflebende Inflationsängste. Ausnahmen sind allenfalls Spanien, wo die Kurse einbrachen, weil man wegen des Absturzes der (noch) regierenden Sozialisten um die Stabilität der Regierung fürchtet, und Frankreich, wo das gute Abschneiden von Anti-Europa- Kandidaten einen ähnlichen Effekt hatte.
Nur in Österreich führte das überraschend deutliche Ja zum EU-Beitritt zu einer kleinen Börsen-Euphorie. Anderswo aber changiert die Stimmung auf dem Parkett zwischen düster und finster. Und das obwohl die Wirtschaft mit dem Wahlausgang nicht unzufrieden ist, denn extreme Parteien konnten sich weniger als erwartet etablieren. Der Deutsche Aktienindex (DAX) kullerte vorgestern um 27,3 Punkte (1,28 Prozent) und gestern sogar um 31,08 Punkte (1,48 Prozent) auf 2105,78 Punkte. Es beeindruckte die Börsenhändler also überhaupt nicht, daß die Regierung Kohl gestärkt aus den Wahlen hervorging. Neue Inflationsdaten aus den USA und Großbritannien wurden mit viel mehr Interesse und Besorgnis aufgenommen. Wertpapierhändler befürchten, daß die Zinsschraube weiter angezogen wird – was auf Aktien- und Anleihenkurse einen schmerzhaften Druck ausübt.
Daß die Europawahlen so wenig Auswirkungen auf die Börsen hatten, liegt mit daran, daß die Resultate kaum jemanden überraschten. Die Märkte hatten die Ergebnisse schon vorweggenommen, so etwa in Großbritannien, wo alle vorher wußten, daß John Major der große Verlierer sein würde. Wann überhaupt eine Nachricht die Märkte noch bewegt, fragte sich das Handelsblatt. Die Antwort: an der Börse werden vor allem Erwartungen gehandelt; es geht um Künftiges, nicht um Vergangenes. Die Europawahlen sind für Börsianer also schon längst Geschichte. Nicola Liebert
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