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Suddenly last summer

Die vielbemühte Generation X, hier mal durch die Tschechowsche Brille gesehen: Michael Steinbergs „Bodies, Rest & Motion“ mit Bridget Fonda und Vater Peter ab heute im Kino  ■ Von Anke Westphal

Mächtig gelehrt geben sich Regisseur Michael Steinberg (unter anderem „Waterdance“) und Drehbuchautor Roger Hedden: „Bodies, Rest & Motion“ ist ein Begriff aus der Newtonschen Lehre. Er besagt, daß ein ruhender oder sich in Bewegung befindlicher Körper so lange in diesem Zustand verweilt, bis er von einer externen Kraft in einen anderen Zustand versetzt wird.

Nick, Beth, Carol und Sid scheinen so ein bißchen externe Kraft bitter nötig zu haben. Die vier Twentysomethings hängen in Enfield, Arizona, herum. Nicht gerade der aufregendste Ort. Ein Einkaufszentrum, ein Highway, Rezession und im Sommer fünfundvierzig Grad Hitze. Sogar ein Gefängnis sei besser geeignet, dem Leben eine andere Richtung zu geben, giftet Nick, ein zynisches Ekelpaket mit smarter Topffrisur. Es wundert nicht, daß Nick wieder mal umziehen will. Dieses Mal nach Butte, Montana, weil dort vielleicht die Zukunft residiert. Schlechter als Enfield, Arizona, kann Butte, Montana, schließlich auch nicht sein. Nicks Problem ist nur, daß sich die Zukunft immer schon verpfiffen hat, wenn er endlich dort ankommt, wo er sie erwartet.

Sids Gemüt ist so fröhlich

Es ist das Problem jener Mittzwanziger, die seit Douglas Couplands Kultroman unter dem Label „Generation X“ firmieren und Filme wie „Singles“ oder „Slackers“ inspirierten. Nick, Beth, Carol und Sid schlagen sich irgendwie mit „McJobs“ als Verkäufer für Fernsehgeräte, Kellnerin, Boutiquenmädel und Anstreicher durch. Sie haben Collegebildung, aber keine Aussicht auf Beruf oder gar Karriere. Sie verfügen nicht gerade über ein auskömmliches Einkommen. Sie sind die erste Generation seit dem Zweiten Weltkrieg, die geringeren Zugang zu den Segnungen der Wohlstandsgesellschaft hat als die Generationen zuvor. Nick, der gerade gefeuert wurde, klaut einen Fernseher, weil er sich keinen leisten kann.

Nick und Beth sind seit drei Jahren ein Paar, aber ihre Beziehung ist mittlerweile so aufregend wie Enfield selbst. Nick turtelt zudem mit seiner Ex-Geliebten Carol, Beth' bester Freundin. Wenn Nick ständig umziehen will, dann vor allem, um ein gewaltiges Problempaket hinter sich zu lassen. Aber Beth (Bridget Fonda schon wieder als female twentysomething) hat noch nicht einmal alle Sachen eingepackt, da steht schon der Anstreicher (Eric Stoltz, auch privat mit Fonda verbandelt) auf der Matte. Sid will die Wohnung für die Nachmieter herrichten. Er plappert über dieses und jenes, über Abklebeband und Anstricharten – er plappert sich klammheimlich in Beths wunde Seele. Sids Gemüt ist so fröhlich wie er selbst ausdauernd im Gespräch. Er kifft. Er scherzt. Ein netter Anstreicher. Es funkt ein bißchen zwischen Sid und Beth. Beth ist natürlich die Komplizierte. Beth stellt die ganz großen Fragen. Was ist Glück und so weiter, Sie wissen schon. Aber Sid ist nun mal die verdammte externe Kraft. Das Dumme, das sich dann als das Gute herausstellt, ist, daß der Kotzbrocken Nick seine Beth in Enfield sitzen läßt und allein abhaut.

Sein Abhauen beschert dem Film zunächst ein paar grandiose Landschaftsaufnahmen mit orangefarbenen Sonnenuntergängen und die ulkige Wiederkehr von Papa Peter Fonda als Easy Rider in der Wüste. „America, land of the free eben. Aber „Bodies, Rest & Motion“ ist eine Art verhindertes Road Movie. Wer versucht abzuhauen, kommt schließlich zurück. Wer eigentlich gar nicht abhauen will, packt plötzlich seine Siebensachen.

Lassen Sie Ihre Traurigkeit, Beth

Immer wieder sieht man die Leute in ihren Autos sitzen, wie sie im Kaff kleben bleiben oder einfach mit all ihren Problemen verschwinden. Und dann gibt es solche wie Sid, die meinen, „wenn man lange genug an einem Ort bleibt, weiß das Glück, wo es einen findet“. Sid erfreut sich eines schlichten Gemüts. „Lassen Sie sie hinter sich, Ihre Traurigkeit“, empfiehlt er Beth, und das ist schließlich ein ziemlich guter, weil pragmatischer Rat, finden wir.

Beth wird über das Verlassenwerden hinwegkommen, so sicher wie die permanent ins Bild gerückten Kakteen über die Hitze in der Wüste von Arizona hinwegkommen. Sid und Beth fallen sich erst in die Arme und dann ins Bett. Die Liebesszenen sind bedauerlicherweise etwas peinlich. (Ach, wenn frischgebackene Kopulationspartner im Film doch nur stumm blieben!) Aber die Wand zwischen Ende und Neuanfang ist dünn und ein wunderbarer Reflektor für die Geometrie der Beziehungen und Persönlichkeiten, für das Changing. Selbst Nick wird on the road (eines der vielen Zitate im Film) unvermutet von der Sinnfrage überfallen. Gefühlschaos, immer wieder ziellose Aufbrüche, Heimatlosigkeit – ist der Wüstenwind gar ein Symbol? Aber „der Wind ist einfach nur der Wind“, antwortet ihm ein müder Indianer. „Scheiße“, greint Nickt, „wär' besser, wenn er was bedeuten würde.“ Nick sucht, getrieben von innerer Leere, sein altes Elternhaus auf, in dem inzwischen eine präraffaelitische Schönheit mit seinem tauben Großvater lebt. Das Mädchen will Nick, der es längst verlernt hat zuzuhören, seine Geschichten erzählen. Nick fühlt sich dabei definitiv wurzellos, und plötzlich fehlt ihm Beth.

Nick, der nie wirklich hier war

Aber gerade in dem Moment, als Nick zurückfährt, will Beth endlich selbst abhauen und verkauft in einem Yard Sale ihren ganzen Schrott für dreihundert Dollar an eine Witwe, die es in dieses Enfield verschlagen hat. Die Leute kommen und gehen, Geometrie der Beziehungen, Nick, der „nie wirklich hier war“, kommt auch dieses Mal zu spät für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Was er eigentlich sucht, ist „nicht hier drin und nicht da draußen“ – er kann es einfach nicht finden. Nur wieder eine verlorene Illusion mehr, wieder eine verpaßte Gelegenheit, vielleicht doch glücklich zu sein. Und auch Sid wird Beth mit seinen großartig romantischen Erklärungen nicht aufhalten. „Ich bin der Richtige für dich“, kämpft er. „Du bist nur der Aktuellste“, schlägt sie zurück und macht sich davon. Besser, wenn auch die Gefühle Rezession haben. Keiner weiß zwar, wohin er will, aber alle sitzen im Auto. Unterwegssein bleibt keine Simulation. Dann aber erstaunt es doch, daß Sid sich aufmacht, um Beth zu suchen. Es ist wie eine winzige Chance.

„Bodies, Rest & Motion“ läßt sich als kleines, solide gespieltes Kammerstück über verunsicherte Mittzwanziger im Mid-Twenties- Breakdown vollkommen genießen, wenn man jemand ist, der Tschechow mag. Die Musik von den Flying Burrito Brothers paßt perfekt. Der Film benötigt keine Action, nicht den schicken Abzockerglanz von „Singles“, nicht den Szene-Habitus von „Slackers“. Nur gibt es leider legendäre Vorgänger in Sachen Beziehungsgeometrie: den guten alten Goethe zum Beispiel und Alan Rudolphs wunderbaren „Choose Me“ von 1984. Aber die Erinnerung an letzteren sollte man für vierundneunzig Minuten vielleicht einfach wegschließen.

„Bodies, Rest & Motion“. Regie: Michael Steinberg, Buch: Roger Hedden; Kamera: Bernd Heinl; mit Bridget Fonda, Eric Stoltz, Tim Roth, Phoebe Cates, Peter Fonda u.a., USA 1993, 94 Minuten

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