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Die Wochenendfrage Von Klaudia Brunst

„Was machen wir eigentlich am Samstag?“ wollte meine Freundin gestern beim Frühstück wissen. „Also ich würde total gerne mal wieder shoppen gehen“, überlegte ich laut, „und dann müßten wir noch Wäsche waschen, Katzenstreu besorgen, mal endlich wieder die Fenster putzen...“ Ich war mit meiner Dringlichkeitsliste noch nicht einmal zur Hälfte durch, da unterbrach mich meine Lebensabschnittsbegleiterin auch schon in gewohnt freundlichem Ton: Daß ich mal wieder total keine Ahnung hätte, meinte sie, weil an diesem Samstag nämlich der total wichtige Christopher Stree Day sei, der Beginn der modernen Homobefreiung, der sich zudem 1994 zum 25. Mal jährt. Jede politisch wachsame Lesbe habe an diesem Tag nur eines zu entscheiden: an welcher Demo man teilnimmt.

„Du willst doch nicht allen Ernstes zur Abschiedsparade der Alliierten gehen?“ fragte ich, bei allem Verständnis für royale Vorlieben. „Also“, begann meine Freundin daraufhin auf jene pädagogische Art, die ich überhaupt nicht an ihr schätze. Dann erläuterte sie mir, daß es in diesem Jahr neben der Alliiertenparade doch zwei konkurrierende CSD-Demos gäbe, eine offizielle mit dem Motto „Farbe bekennen – 25 Jahre Kampf für gleiche Rechte“ und eine inoffizielle mit dem Thema „Vorwärts immer, rückwärts nimmer – Farbe erkennen“. Während die Offiziellen das verbindende Element unter den Homosexuellen fördern wollten – „so von lesbischer Punkerin zum schwulen Bänker“ –, ginge man bei den anderen für den „Kampf gegen jede Form der Ausgrenzung“ auf die Straße. Von wegen Solidarität mit den Hetero-Asylanten. „Wenn man also“, kreiste meine politisch stets wachsame Freundin das Problem ein, „wenn man also für ein möglichst breites Homobündnis ist, müßte man bei der offiziellen Demo mitlaufen. Dann ist man aber automatisch nicht für Asyl, nicht für Menschenrechte, nicht für Frieden.“ Politisch absolut inkorrekt. Ginge man aber für Asyl, für Menschenrechte, für den Frieden auf die Straße, bliebe damit zwangsläufig die Homobewegung auf der Strecke. Zudem sei es natürlich zugegebenermaßen viel lustiger, die Ku'damm-Touristen zu schocken als am Rosa-Luxemburg-Platz herumzudümpeln. Als politisch denkende Lesbe dürfte das zwar nicht die leitende Handlungsmotivation sein — aber so unbedeutend sei die Frage des Amüsements nun auch wieder nicht.

„Und wenn wir morgen einfach mal nicht politisch denken?“ versuchte ich einen Ausweg aus der mir referierten Aporie zu finden. „Das tust du ja sowieso nie“, wurde meine Freundin pampig. „Reiß dich zusammen, hier sind politische Lösungen gefragt.“

Weisungsgemäß dachte ich also politisch und machte eine kleine demoskopische Erhebung unter meinen Bekannten. Unsere Nachbarin hatte sich gerade in Erfurt verliebt. Sie würde also „praktische Lesbenpolitik“ im Bett ihrer Freundin betreiben. Meine Kollegin entzog sich der Moralfrage feige durch einen Besuch bei ihrer kranken Mutter. Nur für meinen schwulen Freund war die Sache völlig klar: Er würde in seinem besten Cocktailkleid zur Alliierten- Demo gehen. Das sei wegen des Fummels total politisch und wegen des anwesenden Prinzen total lustig. Männer haben es in dieser Gesellschaft eben immer leichter.

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