: Brauchen wir die DIN-A-Lesbe?
■ Genormt und in die Schublade gepackt / Ein Streitgespräch über Normen in der Lesbenszene - und wie jede darunter zu leiden hat
Was ist das schrecklichste Stereotyp, das ihr über Lesben im Kopf habt?
Christa Schulte: Da fällt mir gleich diese stromlinienförmige, kurzhaarige, bejeanste...
Maren Bock: He, Moment mal!
Christa Schulte: ... auf häßlich getrimmte Lesbe ein; Klamotten, in denen man keine Figur mehr erkennen kann und stinkend; große Sprüche auf großen Lippen, und wenn man näher nachfragt, kriegt sie Muffensausen; sie hält sich für bärinnenstark, wenn sie in der Gruppe ist, doch sobald ich sie einzeln erwische, schrumpft das ganze Gebilde von Frau in sich zusammen; sie hat wahnsinnig viele Normen, die sie ganz strikt einhalten muß und das auch von anderen verlangt – Separatismus ist dabei die oberste Norm... Sie würde sich nie radikal nennen, aber findet, daß die anderen, die anders sind als sie, alle noch nicht ganz so weit sind, noch so'n bißchen dumm. Politaktionen müssen in jedem Fall sein, und welche da nicht mitmacht, ist nicht so ganz auf der Höhe des Feminismus... Und Feminismus definiert sie, denn sie hat schon ein paar Bücher gelesen. In der Lesbenszene ist sie seit ungefähr fünf Jahren und pestet meist lästerlich über Schwestern. Im Grunde hat sie eigentlich die Norm, als freie Single-Lesbe zu leben; wenn sie in Therapie kommt, strebt sie aber insgeheim nach der festen Zweierbeziehung über 20 Jahre, was sie aber offiziell nie zugeben würde... Sie wird identifiziert als Normgeberin, beklagt sich aber bitterlich darüber, daß die anderen immer so enge Normen haben und Bremen ein Dorf mit Straßenbahn sei, wo die Lesbenszene sich derartig eng verclincht auf der Pelle hockt, daß jede die neuesten Querelen von jeder weiß – und natürlich im Speziellen die Negativ-Versionen.
Angelika Lorenz: Dieser Typ schwebt mir auch in etwa vor, ich sehe sie allerdings mehr in Knobelbechern oder in Krawatte... Es hat sich aber auch viel verändert in den letzten Jahren. Aber dieses Drumherum, das Du beschrieben hast – ich denke, alle können so leben, wie sie das für richtig halten. Und gerade wir Lesben sollten das Ganze gelassener sehen – wir wollen schließlich auch akzeptiert werden. Warum fangen wir dann an, über andere herzuziehen...
Christa Schulte: Weil's Spaß macht!
Maren Bock: An diesen Stereotypen ist ja auch was dran. Am Anfang meines Coming-Outs brauchte ich diese Normen ganz stark! Ich brauchte es total, mich abzugrenzen und über andere zu lästern, und ich brauchte auch Moral, um eine Zugehörigkeit zu meiner Gruppe zu finden, weil ich jahrelang geschwankt habe.
Welche Normen dürfen denn zur Zeit auf keinen Fall verletzt werden?
Christa Schulte: Die schlimmste Todsünde bei der lesbischen Beichte: Du hast dich mit einem Mann eingelassen.
Maren Bock: Das hängt von der Szene ab. Unpolitische Äußerungen zu machen, unreflektiert zu sein – das ist in meiner Szene nicht drin. Politlesben müssen eben immer politisch sein. Und Freundschaft und Affären mit Männern gehören ganz klar dazu, auch wenn sich ersteres doch ziemlich aufgeweicht hat. Aber mit einem Mann schlafen – da ist es vorbei. „Die ist dann für mich keine Lesbe mehr“, sagte mir neulich eine Frau, und ich habe sie gefragt: Wenn eine Lesbe 18 Jahre lang mit Frauen zusammen war, dann einmal eine achtwöchige Affäre mit einem Mann hatte und danach wieder Frauen liebt – warum ist die keine Lesbe mehr?
Angelika Lorenz: Überhaupt mit jemand anders außerhalb der Beziehung zu schlafen verletzt immer noch die Norm, Affären, Dreierbeziehungen... Da können in einer Gruppe richtige Brüche entstehen. Ich habe das in einem Freundinnenkreis so erlebt, daß so lange über eine Dreierbeziehung innerhalb dieser Gruppe getratscht und telefoniert und hinter dem Rücken geredet wurde, daß die Gruppe jetzt einfach kaputt ist. Darüber reden war zwecklos: Entweder bist du so, wie ich das will, oder es geht eben nicht mehr, so nach dem Motto läuft das ab.
Haben lesbische Normen auch eine positive Funktion?
Christa Schulte: Die Lesbenszene braucht Normen, auch wenn alle dagegen zetern. Die Frage ist, welche sie braucht, nachdem sie zumindest viele patriarchale Normen abgelehnt und einige auch nur verdreht hat. Meiner Meinung nach dienen Normen der Angstreduktion, um sich nicht immer allen Konflikten auf einmal auszusetzen. Sie dienen der Orientierung, der Gruppenzugehörigkeit, der Abgrenzung gegenüber anderen. Und wir sind eine Gemeinschaft, die sich auch über Regeln und Werte orientiert, also nicht nur über Sexualität oder lesbisches Netzwerk. Dabei gibt es immer wieder interessante Widersprüche. Ich habe einmal Sexualitätsnormen aufgelistet. Da bin ich auf 37 Gegensatzpaare gekommen, wo immer das eine gilt, das genaue Gegenteil aber auch! Zum Beispiel: Lesben sind immer leidenschaftlich und draufgängerisch – das Gegenteil: Lesben sind nie so patriarchal, daß sie voll aktiv auf die andere zugehen würden, sondern sind hingebungsvoll, weich, sanft... Beides gilt, und das zeigt für mich, daß Normen als Orientierungshilfen einfach nötig sind.
Frieda Kley: Letztendlich zieht eine Norm aber ein Zwangssystem nach sich, in dem kontrolliert und bestraft wird... Doch die Frage bei Normen, die nicht einzelne für sich oder ihre Beziehung selbst aufgestellt haben, ist: Wer stülpt hier wem was über? Manchmal ist sowas nicht so klar, es gibt nicht die fünf Normsetzerinnen in der Szene – das läuft viel subtiler ab. Ich glaube, daß Normen nur deshalb so stark wirken, weil es die große schweigende Mehrheit gibt. Deshalb gibt es dann die eine Stimme, die unwidersprochen stehenbleibt und als Konsens erscheint – was sie selten ist.
Maren Bock: In meiner langen Coming-Out-Zeit, in der ich die Lesbenszene als sehr dogmatisch erlebt habe, haben Lesben zu mir gesagt: Wenn du dich einmal entscheidest, darfst du dich nie wieder umentscheiden. Und nicht durch Zufall hatte ich meine ersten Affären außerhalb von Bremen, um nicht beobachtet zu werden. Ich gebe anderen aber so etwas nicht mehr weiter. Ich sage: Es geht nicht darum, eine Lebensentscheidung zu treffen, sondern das zu leben, wozu du Lust hast. Gleichzeitig stoße ich an meine Grenzen, wenn Lesben deutlich unpolitisch sind und sagen: Ich will nur Sex.
Warum sind solche Frauen so bedrohlich?
Maren Bock: Weil ich Angst habe vor der schweigenden Mehrheit in dieser Gesellschaft. Und zumindest in unserer kleinen Minderheit will ich, daß nicht so viele schweigen zu politischen Verhältnissen.
Christa Schulte: Wenn man aber Sex mal als was Stärkendes ansieht?
Maren Bock: Wenn sie ihre Kraft zurückgibt und nicht immer nur im eigenen Saft brät...
Christa Schulte: Sagen wir mal, diese Frau würde die ganze Szene mit Sex versorgen.. Die Frauen würden hoffentlich gestärkt wieder aus ihrem Bettchen steigen und könnten politisch sehr aktiv sein. Warum muß sie selber politisch aktiv sein?
Und wenn ich mir in meiner Identität sicher bin, kann ich verschiedene Aktionen machen, zum Beispiel eine heiße Nacht mit einem Mann verbringen, ohne meine Identität als Lesbe zu verlieren.
Egal ob es um S/M geht, um Bisexualität, um Transsexualität – immer wieder flackern Themen auf, bei denen die Argumente extrem polarisiert werden. Es kann also nicht an einem speziellen Thema liegen, das so sehr aufwühlt. Wovor haben Lesben so wahnsinnig viel Angst?
Maren Bock: Davor, nicht gespiegelt zu werden. Und vor dem Gefühl: Ich bin selbst anders als andere Lesben. Auch wenn wir sagen, Sexualität ist nur ein Teil von Lesbisch-Sein – sie verbindet uns auch. Und wenn gerade in diesem Bereich solche Abgrenzungen stattfinden, wenn du plötzlich im Bett Praktiken lebst, die mir Angst bereiten oder wo ich in Richtung sexuelle Gewalt gespiegelt werde, dann wird es doppelt bedrohlich... Und ich bin dann darum bemüht, solche Frauen aktiv rauszukicken.
Angelika Lorenz: Und wenn ich erstmal draußen bin, fühle ich mich auch nicht wertvoll – also werde ich den Mund halten.
Christa Schulte: Und etwas tun, damit du in ihr Normengebilde wieder reinpaßt. Sühne, Buße, Reparationsleistungen...
Einigen wir uns jetzt darauf, daß wir Normen eben brauchen – und die automatische Ausgrenzung ist ein hinzunehmendes Abfallprodukt?
Christa Schulte: Meine Utopie wäre Akzeptanz für Experimente. Neue Erfahrungen probieren, ohne sie zur Norm zu erklären. Und Respekt vor anderen Erfahrungen.
Frieda Kley: So ein paar Normen sind gar nicht schlecht, um sich darüber zu ärgern. Es geht darum, das Starre daran aufzulösen. Was dann dabei rauskommt, ist total offen...
Gespräch: Susanne Kaiser
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