: EU läßt Trinkwasser vergiften
Seit gestern beraten die europäischen Agrarminister eine Pestizid-Richtlinie / Die EU will auf das Vorsorgeprinzip beim Trinkwasserschutz verzichten ■ Von Hermann-Josef Tenhagen
Berlin (taz) – Der griechische Versuch, beim ab heute tagenden Agrarministerrat die Zulassung von Pestiziden in der Europäischen Union zu erleichtern, ist nicht der erste. Schon im Dezember hatte die belgische Ratspräsidentschaft versucht, laxe Zulassungrichtlinien für Pestizide zu erreichen. Auch der damals vorliegende Vorschlag sah den Abschied vom bislang noch geltenden Ziel pestizidfreien Trinkwassers in Europa vor.
Wenn ein EU-Land ein bestimmtes Pestizid zugelassen hat, hätten nach dem damaligen Entwurf alle anderen diese Zulassung akzeptieren müssen – zumindest solange sie nicht zeigen können, daß das Pestizid beim Einsatz in ihrem Land viel gefährlicher ist, als in dem Land, das es schon zugelassen hat. „Und dann beweisen sie das mal für Mittel wie Lindan oder Atrazin, die in der Bundesrepublik schon einmal zugelassen waren, dann verboten wurden und jetzt wieder auf der Kandidatenliste stehen“ beschreibt Hermann Kleemeyer vom WWF das Dilemma dieses Ansatzes.
Den Briten und Iren waren selbst diese Regelungen noch zu streng. Und auch die Franzosen forderten dringend eine laxere Pestizidrichtlinie. Doch die dänische Regierung blieb damals hart und verhinderte gemeinsam mit den Beamten der Europäischen Kommission die Verabschiedung der Pestizidzulassungsrichtlinie.
Ursprünglich hatte die Europäische Kommission 1993 vorgeschlagen, daß künftig nur Pestizide in Europa zugelassen werden dürften, die die Einhaltung der strengen EU-Trinkwasserrichtlinie gewährleisten. Das heißt, im Trinkwasser dürfen sich maximal 0,1 Mikrogramm eines einzelnen Giftes pro Liter befinden, insgesamt 0,5 Mikrogramm von allen Pestiziden zusammen.
Das provozierte einen Aufschrei der chemischen Industrie. Deren Brüsseler Lobbyarm European Crop Protection Association (ECPA) befürchtete, daß ein Drittel bis die Hälfte aller derzeit genutzten Pestizide dieses Kriterium nicht erfüllen würden und deshalb früher oder später aus dem Verkehr gezogen werden müßten.
Von dem Gesamtgrenzwert von 0,5 Mikrogramm für alle Pestizide pro Liter Trinkwasser spricht in Europa offenbar heute keiner mehr, beklagen die Umweltverbände. Geltendes Recht werde so bei den Verhandlungen souverän ignoriert. Dabei wäre die Berücksichtigung des Gesamtgrenzwertes so wichtig. Denn rund 700 Pestizide stehen zur Genehmigung an. Ohne Gesamtgrenzwert könnten von jedem 0,1 Mikrogramm in den Liter Grundwasser gelangen. Und unser Trinkwasser stammt zu 70 Prozent aus dem Grundwasser.
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