: Von Kitschkunst bis Internet-Konferenz
■ Trotz Streit, Geldknappheit und Fußball-WM: Die Jahresausstellung der HfbK-Studierenden zeigt jede Menge Kunst vom Stoffdruck bis zur Computersimulation
Der neue Eingangsportikus der Hochschule für bildende Künste ist mit Worten aus Rosen dekoriert, daneben sind faulige Schweinehälften an die Säulen gebunden. Auf der Treppe versucht ein wasserspritzender und schrubbender Trupp den ganzen Abend in deutlicher Metaphorik für Sauberkeit vorm Hause zu sorgen, und drinnen werden erst schöne Reden und später das Tanzbein geschwungen: Am Dienstag öffnete die krisengebeutelte Hochschule unter großem Publikumsandrang ihre Jahresausstellung.
Trotz endlosem Streit um die Führung des Hauses erntete die Präsidentin Adrienne Goehler mit ihrer Rede nur Buhrufe, als sie scherzhaft die Fußball-WM als unnötig bezeichnete. Sie richtete an den - erstmalig bei so einem Ereignis anwesenden - Wissenschaftssenator Leonhard Hajen den dringenden Wunsch, die Politik möge erkennen, daß der Freiraum der Künste im allgemeinen, und vor allem das Potential der HfbK, besondere Investitionen rechtfertige. Hajen hielt eine eloquente Ansprache über das, wovon er nicht reden wollte: Den leidigen Streit, die schwierigen Finanzen, die fragwürdige Struktur und so weiter. Er rief dazu auf, die Aufregung über die Schule in Erregung durch die Arbeiten der Studenten zu verwandeln.
Anregend ist in der Tat die Vielfalt des aktuellen Kunstangebots. Sie ist so breit, daß dem Außenstehenden das Haus wie ein großer Flohmarkt vorkommt: Von traditionellen Fertigkeitsfeldern wie Stoffdruck und Fotografie zu Computersimulationen und Internet-Konferenzen, von wenig innovativer Malerei zu komplizierten physikalischen Installationen, von zarten Zeichnungen zur großen Geste, von Kitschkunst zum Design.
Die Architekten haben ihre Kojen in der Aula durch raumhohe Mauern aus lindgrünen Getränkekisten abgeteilt und dabei ganz beiläufig eine hellgrün schimmernde Kathedrale der Gegenwart gebaut. Statt mühsam Leben in gebaute Architektur zu bringen, hat der Student Martin Obliers Lebensweg und Lebensutopie in Architekturmodelle gefaßt. Solch lockerer Umgang mit Materialfeldern ist typisch für die Klasse von Claus Böhmler, in der auch ein Kasten zu finden ist, der sich bei der richtigen Antworten auf zwölf Fragen nach dem Leben des Künstlers Uli Winter selbst in die Luft sprengt.
Die Medien noch zu übertreffen suchen die Schüler von Bernhard Johannes Blume mit ihrem Kult des Trivialen. Songs, die die frühe Nina Hagen weit in den Schatten stellen, Fotos von abartig blöden Gummitieren, das „Artzine“ (Kunstmagazin) „Neid“ und Simulationen von High-Tec-Firmen stecken hier den Rahmen ab.
Eine mit Haaren versponnene Raumecke, die durch den Saal rollende Weltkugel, tätovierte tiefgefrorene Enten und überdimensionale Kuchenformen, ein U-Boot im Aquarium und eine irrwitzig laute Lärmmaschine definieren in der Klasse von Bogomir Ecker heutige Positionen des Plastischen.
Erhaben Inszeniertes ist in der Klasse von Marina Abramovic zu bestaunen: Quecksilber und Blut in Phiolen auf dunkelrotem Samtkissen, ein Haufen rot beleuchteter weißer Damenpumps steht einem Video mit wandernden roten Schuhen gegenüber. Es sind genau jene falschen Mystifikationen, mit denen die Performerin auch sich selbst häufig schmückt. Doch auch auf der gegenteiligen Seite des Spektrums kann nicht alles überzeugen: Die Persiflage des ganzen Lehrbetriebes in den Vorträgen von John Bock kommt über selbstreferentielle, platte Schüler-Witzigkeit nicht hinaus.
In einer der Grundklassen ist das aktuelle Dilemma der akademisch vermittelten Avantgarde schön auf ein Tuch gestickt: „Da bin ich aber froh, daß ich schon die Kunst von 1960 kopiere und nicht die von 1890“. Gesamtergebnis 1994: Bei teils guten Spielleistungen, relativ wenigen Fouls unter den Offiziellen und gelegentlichen Verzettelungen im taktischen Konzept insgesamt unentschieden, wie das deutsche WM-Spiel am gleichen Abend. Hajo Schiff
Öffentliches Gespräch über die Problematik der Freien Kunst mit Professoren, Künstlern und Publizisten heute um 19 Uhr in der Aula-Vorhalle;
Installation „Odyssee“ der Klasse Mike Hentz mit exquisitem Küchenbetrieb (Raum 240) täglich von 14 bis 22 Uhr;
Einklinken in elektronische Netzwerke und dergleichen im „Telematikraum“ (242), täglich von 11 bis 20 Uhr;
Performances der Klasse Abramovic heute und morgen um 19 Uhr, Raum 218;
sowie weitere Veranstaltungen, Filme und Aktionen; sonstige Klassenausstellungen täglich von 10 bis 19 Uhr, Samstag von 10 bis 18 Uhr, bis 25. Juni, HfbK, Lerchenfeld, U-Bahnhof Mundsburg
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