Menschen wie du beziehungsweise ich: Mein Onkelchen Von Claudia Kohlhase

Mein Onkelchen ist eigentlich ein Onkel. Aber sein Wesen ist ein Onkelchen und hat noch kurze Hosen an, wenn andere schon nach Hause gehen wegen der Kälte. Zum Beispiel am Meer, wohin mein Onkelchen mit meiner Tante immer wieder reist.

Mein Onkelchen braucht das Meer wegen der Schiffe. Da steht er im Wasser und vergißt die Quallen und die Wellen vor Begeisterung. Das sind aber auch Schiffe und so viele und von fern. Dabei ist Cuxhaven nicht die Welt. Aber wenn mein Onkelchen mit dem kurzen Zeigefinger auf die langen Wege zeigt, dann liegt dort draußen eben doch Panama.

Wie man sieht, hat mein Onkelchen Sonne im Herzen, und wenn's regnet, zieht er die Sandalen aus. Die steckt er in die zusammengefaltete Plastiktüte aus der Po-Tasche, was praktisch ist, aber auch unpraktisch, weil man die dann tragen muß und keine Hand mehr frei hat zum Fotografieren. Und Fotografieren muß sein bei meinem Onkelchen. Nicht nur, damit mein Tantchen zu Hause was zum Einkleben hat, sondern damit alles wahr ist. Auf den meisten Bildern ist ziemlich viel Meer und dahinter immer ein Schiff oder mein Tantchen, das aber davor und mit Kopftuch gegen den Wind. Mein Onkelchen ist dem Wind natürlich immer Nasenlängen voraus, deswegen kann der ihm nie was anhaben. Außer ein bißchen seine letzten Haare lüften. Die legen sich dann quer über seinen Kopf, was mein Onkelchen überhaupt nicht mag, so wie er auch Ernst Huberti nie mochte.

Daß die Naturelemente ihm aber grundsätzlich nichts anhaben können, kommt wahrscheinlich daher, daß mein Onkelchen bei der Marine war. Leider ist er damals mit versenkt worden, als sein U-Boot und seine Kriegskameraden, die er heute noch besucht, untergingen. Sechs Stunden hat er im kalten Wasser gelegen und ist Gott sei Dank nicht ertrunken, weil er so gut schwimmen konnte. Was er heute noch tut, jawohl, trotz der Erinnerung oder vielleicht grade deswegen. Schließlich ist das Schwimmen dadurch eine Überlebenstätigkeit geworden, die man auch im friedlichen Leben gebrauchen kann.

Mein Onkelchen ist lange genug Kondom- bzw. Gummivertreter gewesen und weiß, wovon er spricht. Netterweise gehörten auch Luftballons zum Sortiment, so daß mein Onkelchen sich daran immer wieder aufrichten konnte. Mein Onkelchen spricht aber auch zu gerne mit den Leuten, besonders gerne mit Frauen. Durchaus auf Sand- oder Strandbänken. Nicht, weil mein Tantchen dann nicht dabei ist, sondern wegen dem Publikum für die Schiffsroutenbeschreibung. Und wenn mein Onkelchen von Schiffsrouten schwärmt, öffnen selbst salzige Hamburgerinnen ihre Herzen.

Wenn Segelparade ist und der Fotoapparat klemmt, dann allein wird mein Onkelchen ungemütlich. Mein Tantchen tut dann gut daran, weniger zu reden. Nur gut, daß mein Tantchen eine ebensolche Seele wie mein Onkelchen hat. Im Grunde kann sich glücklich schätzen, wer ein solches Onkelchen mitsamt solchem Tantchen hat. Ich weiß nicht, ob es immer so viele Gründe gab, sie zu lieben. Aber wenigstens weiß ich es jetzt. Spätestens am Bahnhof, wohin mich mein kleiner Onkel mitsamt dem Tantchen gefahren hat, als es ans Abschiednehmen ging.