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Eine leise Stimme gefunden

■ „Bosnische Straße“ auf Kampnagel startet Welt Kultur Sommer

Mit sanfter, beinahe verträumt mädchenhafter Stimme und ohne Mikro beginnt Emina Kamber im Finstern der Halle 6 zu singen. Ein klassisches Volkslied über Bembasa, den Stadtteil Sarajevos, wo man einst das Wasser holte und sich die Jugend der ganzen Stadt traf. Zaghaft beginnen im Publikum die Bosnier, Kroaten, Herzegowiner, Serben und Moslems, alle die das Lied kennen, einzustimmen. Es ist, als hätten die Flüchtlinge, deren Heimat und vielfältige Identität zerstört wird und weiter zerstört werden soll, in diesem Moment zu einer leisen, aber eindringlichen Stimme gefunden. Der Welt Kultur Sommer 94 auf Kampnagel beginnt unspektakulär, aber ergreifend.

Vom schwarzen Hintergrund springen die großformatigen Gemälde von Danino Bozic mit grellfarbigen gemarterten und geschlachteten Leibern ins Auge. Die Umrisse Bosniens sind auf der Bühne mit einem Seil markiert, Schilder, auf denen mit blutroter Farbe „Sarajevo“, „Banja Luka“ oder „Mostar“ steht, nennen die „Städte, in denen Europa stirbt“. Daneben ein trauriges Straßen-Café, besetzt mit dem Dichter Midhat Hrncic, der Autorin Emina Kamber, der Studentin Nermina Kuric, dem Journalisten Thomas Schmid und am Klavier begleitet Zlatko Subasic mitunter die vorgetragenen Gedichte und Berichte. Entgegen der Agitprop-Ästhetik wird es ein nachdenklicher Abend auf der Bosnischen Straße. Menschen in Sarajevo portraitierte Thomas Schmid, zum Beispiel die Lehrerin Saliha, die arbeitslos ist seit die Schulen geschlossen wurden, und die sich weigert „wie ein Hase zu rennen“, um den „Snipers“, den Heckenschützen zu entkommen.

Nach Berichten darüber wie die Katastrophe 1992 an einem Frühlingsmorgen losbrach, über eine ermordete Stadt, über Kinder, die mit grauem Haar zur Welt kommen, nach einem Gedicht mit Verfluchungen gegen die Waffenträger endet der Abend mit einem fetzigen Statement der Jugend: Pasa Kamber, preisgekrönter DJ, rappt, tanzt und scratcht wütend „Forget Tuzla...“. Vergessen wir Tuzla, Brcko, Sarajevo, Mostar, können wir auch Europa vergessen. jkn

Heute: „Black, Blanc, Beur“: Halle 6, 21 Uhr; morgen: „The African Heritage“ Halle 6, 21 Uhr

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