: „Ich bin nämlich der türkische Dichter“
■ Nazim-Hikmet-Woche im Türkenzentrum
Das war 1950: Nazim Hikmet war gerade nach 13 Jahren Haft aus dem Gefängnis in der Türkei entlassen worden, oder er war geflohen, wie er es dem bulgarischen Dichter Bojidar Bojilov erzählte. Die beiden trafen sich in Ost-Berlin bei den Weltfestspielen der Jugend und verbrachten dann auch einen Abend in einem Hotel im Westteil der Stadt. Von Bojilov nur kurz allein gelassen, verwickelte der kommunistische Dichter Hikmet gleich einen westlichen Journalisten in ein politisches Gespräch, das immer heftiger wurde. Als Bojilov zurückkehrt, macht er sich gleich berechtigte Sorgen um Hikmet. Und tatsächlich ist die Militärpolizei schon aufmerksam geworden, eine Verfolgungsjagd per Auto beginnt, die am Brandenburger Tor, direkt hinter der Grenze, endet. Hikmet unterhält sich mit seinem Verfolger auf der anderen Seite der Grenze. „Sie sind gut gefahren, mein Herr, aber mein Fahrer war schneller. Sie hatten übrigens recht, uns nachzujagen, ich bin nämlich der türkische Dichter Nazim Hikmet.“
1902 als Sohn einer großbürgerlichen Familie in Saloniki geboren, trat Hikmet früh in die kommunistische Partei ein und blieb Kommunist, bis er 1963 in Moskau starb. Nach Rußland ist er zweimal emigriert – jedesmal nachdem er in der Türkei aus dem Gefängnis freikam. Seine Gedichte wurden zu seinen Lebzeiten in der Türkei nicht publiziert (dafür jedoch in Island), und noch heute gibt es an manchen Stellen Zensurlücken.
Nazim Hikmet verzichtet auf Reim und lyrische Sprache, befaßt sich meist mit den Sorgen und Freuden der Arbeiter und Bauern. „Gruß an die Arbeiterklasse der Türkei! / Gruß an die Schaffenden! /Gruß an die Saat der Saaten, an das, was sprießt und gedeiht! / Alle Früchte sind auf euren Zweigen.“ Oft sind es aber auch volksliedhafte Gesänge auf die Schönheit seines Landes, über Bäume, Kinder und den Frieden. Im Türkenzentrum wird er jetzt, über dreißig Jahre nach seinem Tod, eine ganze Woche lang geehrt. An den Wänden hängen kopierte Porträts des Dichters, umrahmt von frischen rosa Rosen und Zitate aus seinen Gedichten. Meist ist's das berühmte „Leben / einzeln und frei / wie ein Baum / und brüderlich/wie ein Wald / ist unsere Sehnsucht“. Außerdem finden seit Montag schon täglich Lesungen aus den Gedichten Hikmets mit musikalischer Begleitung statt. Heute wird unter anderen Yalçin Küçük aus Paris erwartet, der neben Hikmets auch eigene Gedichte vortragen wird. Der Höhepunkt der einwöchigen Veranstaltungsreihe ist am Sonntag in der Werkstatt der Kulturen. Hier treffen sich gleich elf türkische DichterInnen, und außerdem gibt's Musik und Tanz und Speis und Trank. Das hätte Nazim Hikmet bestimmt gefallen: „Nichts nimmt mir die Langeweile so, / wie die Lieder und der Tabak von meinem Land. / Mein Land: Bedreddin, Sinan, Yunus Emre und Sakarya, / bleierne Kuppel und Fabrikschornsteine / sind Werke von meinem Volk, / von jenen, die es sogar vor sich selbst verbergend, / unter ihren hängenden Schnurrbärten lachen.“ Volker Weidermann
Heute ab 17 Uhr, Türkenzentrum, Adalbertstraße 96, Kreuzberg, morgen ab 16 Uhr, WdK, Wissmannstraße 31–42, Neukölln.
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