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Schwarze Bewegungslehre

Benettonbunter HipHop mit ganz viel Utopie drin: die neue Arrested Development  ■ Von Thomas Groß

„Stay tuned and ... good morning“, kräht die Radiostimme zu Beginn der Platte, und das ist mindestens genauso uplifting wie die Bandfamilienabbildung auf dem Innencover: 12 AfroamerikanerInnen in benettonbuntem Outfit, viel afrozentristische Klunkerhemden, Amulette, Strickmützchen, Casual Wear und hautfreundliche Kattune, frisurmäßig gerne Dreadlocks, aber auch weiße Bärte (denn es sind mindestens drei Generationen vertreten), das alles auf einer Art Südstaaten- Farmveranda; kaum ein Herrenhaus, eher eine Datscha, aber doch ein Platz zum Bleiben mit grünen Wänden und gemütlich hölzernem Boden. Die schwarze Version einer weißen Idylle: „Our house is a very very very fine house ...“ Die zwei Katzen im Hof sind nur zufällig nicht aufs Bild gekommen.

Doch dies hier ist 1994, und die Kontexte sind andere. Arrested Development aus Atlanta/Georgia sind keine Gang, keine Posse, kein wirklicher Clan, sie sind das, was man eine Kommune nennt. Will sagen: ihr Zusammenhalt als Band hat sich vom Status einer bloßen Notgemeinschaft emanzipiert, und daß so etwas in den USA von heute möglich ist, von Schwarzen als lebbare Realität nicht nur des Mittelstandes behauptet wird, macht auch auf der zweiten CD „Zingalamaduni“ (die „Unplugged“-Session nicht mitgerechnet) den entscheidenden Unterschied zum Hauptstrom der amerikanischen HipHop-Ästhetiken aus. Wenn Snoop Doggy Dogg das momentan toughste Modell des „Gangsta“ abgibt, der in Reden und Handeln das Menschenrecht auf Kapitalismus einklagt (und dabei nicht nach links oder rechts schaut), sind Arrested Development die Neue Subjektivität des HipHop. Alles, was dieser Begriff in den Sechzigern und frühen Siebzigern abstrahlte, spiegeln sie in später Brechung zurück: Universalismus statt Separatismus, emotionaler Antikapitalismus, Ferien für alle, Desertion vom „Männlichen“, „das gute Leben“ vor der Akkumulation von Luxusgütern, lieber arm dran als Arm ab etc.

In solchen Fällen spricht der linksphilosophische Diskurs gern von „Utopie“, und tatsächlich bringt der Ansatz von Arrested Development einen unmittelbar nachvollziehbaren Zuwachs an individueller Freiheit im symbolischen Material, das die Band herbeischafft. Die Einzelnen sind nicht sklavisch an die ihnen zugewiesenen Rollen gebunden, sie können, auch hier ganz klassisch, das Reich der Freiheit im Herzen der Notwendigkeit schon mal ein bißchen aufblitzen lassen und sich neue erfinden. Zum Beispiel auf die Idee kommen, statt finster dreinblickender wollbemützter Jungmänner ein etwas esoterisch wirkendes Mädchen mit Ethnoschmuck aufs Cover zu nehmen. Wie es da vor Sand und Meer statuarisch das Bein hebt, soll wohl zugleich so etwas wie „Stolz und Würde des afrikanischen Volkes“ ausdrücken, aber durch die Pose hindurch ist auch einfach ein afroamerikanisches Hippie-Girl zu sehen, das ganz offensichtlich in enorme Selbstverwirklichungsprozesse verwickelt ist. Dancing on the Beach – hart am Kitsch vorbei, aber eben ein Experiment. Schwarze Bewegungslehre sozusagen.

Ohne Religion geht sowas natürlich nicht ab. Das Sinnangebot von Arrested Development reicht vom ekstatischen Lob der „Sista“ über diverse Aufrufe zur spirituellen Vereinigung aller Menschen unter Gottes Sonne bis hin zur Mahnung an die Leute in der „Hood“, sich gefälligst am Müllrecycling zu beteiligen. „Social medicine's the answer“ – man glaubt mit dreiviertel Herzen an die Chance zur Besserung unter Clinton, vorausgesetzt, der Kampf wird an allen Fronten energisch genug geführt: Erziehung, Ernährung, Togetherness, Naturliebe, Spirituality und, natürlich, Musik.

„WMFW“ („We Must Fight & Win“) heißt der fiktive Sender, der von dem 62jährigen Gruppenmentor Baba Oje vorgestellt wird, und nicht zufällig klingt das wie eine Zuspitzung des guten alten „We Shall Overcome“: Die ganze Musik beerbt noch einmal das Pathos der Bürgerrechtsbewegung. HipHop ist die Grundlage, doch alle Kinder dürfen zu ihm kommen. Gospel ist nie weit, die Instrumentierung ist folky, der Rhythmus weltmusikalisch. Gewollt und geliefert wird das kathedralische Gefühl, der antisegregative Konsens- Sound bei größtmöglicher Formulierung schwarzer Anliegen. Kaum sind die Reverenzen an die Brüder und Schwestern an der Musikfront abgeleisted und die „brand-new Sounds by Arrested Development“ angekündigt, kehren die alten Hymnen als Hintergrundchoräle auch schon wieder: „Power To The People“ und, natürlich, Bob Marleys „Get Up, Stand Up“.

Das ist massentauglich, und schon faseln Musik-Illustrierte wie ME/Sounds von der versöhnlichen Alternative zu „den rüden Reimen anderer Rapper, die über Gewalt aus der Gosse oft nicht hinausreichen“. Doch ironischerweise liegen die Schwachpunkte dieses Approachs weniger in seiner Nettigkeit, seiner Nähe zur großen harmonischen Familie der Unterhaltungsindustrie (Arrested Development haben sich für das bevorstehende Woodstock-Revival angekündigt) als da, wo er alles auf eine Karte setzt, wirklich Handlungsanweisung werden will, Stichwort „konkrete Utopie“. Im Song „Ache'n For Acres“ empfielt Rapper Speech den verarmten Schwarzen Amerikas nicht nur symbolisch – als Spiel mit Rollen –, sondern ganz real den Rückzug auf die eigene Scholle, wo die Not sich durch simplen Besitz nebst Bestellung eines Stücks Land in jene Idylle verwandeln soll, die die College-Absolventen von Arrested Development mittlerweile nur noch inszenieren. Klein-Afrika im ländlichen Süden: „No more children crying, instead they'll be running free and wild in the heat of the sun.“

Auch wenn der Song einer tatsächlichen Rückwanderungsbewegung der amerikanischen Schwarzen aus der Aussichtslosigkeit der urbanen Ghettos entspricht: So wörtlich ernst war es der weißen Alternativbewegung mit ihren Utopien nie. Die Karriere der Neuen Subjektivität war eine andere: Aus den ausgestiegenen Landfreaks wurden schon bald Max-Planck-Insitutler oder Computerspezialisten, und der Gegenpart zu „We Shall Overcome“ hieß schon immer „I Ain't Gonna Work On Maggie's Farm No More“.

Arrested Development: „Zingalamaduni“ (EMI)

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