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■ Einmarsch in Ruanda: Das durchdachte FiaskoSeit gestern marschieren französische Soldaten in West-Ruanda. Monate nachdem die traditionellen Freunde Frankreichs mit den Massakern begannen, versucht Paris nun, seinen Einfluß in der ...

Einmarsch in Ruanda: Das durchdachte Fiasko

Frankreich hat sich in Ruanda in Verruf gebracht. Die Staatsspitze, die es immer unterstützt hat, ist eine Bande von Massenmördern geworden. Um überhaupt noch in Ruanda und damit in dem Länderdreieck Zaire–Ruanda–Burundi eine Rolle spielen zu können, müssen die Franzosen ihren Ruf also wieder aufpolieren. Eine Blitzaktion, bei der französische Soldaten ihren ruandischen Freunden einige tausend gefangene Zivilisten abnehmen, ist dafür bestens geeignet.

Aber die Imagepflege mit der willkommenen Nebenwirkung der Rettung mehrerer tausend Menschenleben wird schon jetzt dadurch überschattet, daß allein die Ankündigung des Einmarsches die Krise in Ruanda nochmals deutlich zugespitzt hat. Für die Guerillabewegung RPF (Ruandische Patriotische Front), die zwei Drittel Ruandas kontrolliert, ist der französische Einmarsch eine „Kriegserklärung“. Die RPF erinnert sich noch gut, daß die Entsendung französischer Soldaten schon zweimal, im Herbst 1990 zu Beginn des ruandischen Bürgerkrieges und im Frühjahr 1993, ihren Sieg über die ruandische Regierungsarmee verhindert hat. Nun ist die RPF wieder auf dem Vormarsch und hofft auf den Sieg über einen Gegner, der sich durch die Massakrierung von Hunderttausenden von Menschen international völlig diskreditiert hat – und wieder kommt Frankreich. Die Frage, warum sich Frankreich nicht schon im April, als die Massaker losgingen, über das Verhalten seiner ruandischen Freunde empört hat, und warum die Franzosen mit ihrem Rettungseinsatz gewartet haben, bis fast alle im Westen Ruandas zu rettenden Menschen ums Leben gekommen sind, ist in diesem Zusammenhang weniger wichtig als die, was die Intervention jetzt tatsächlich bewirken kann. Ruandas ehemaliger Premierminister Faustin Twagiramungu hat in diesem Zusammenhang auf einen wichtigen Aspekt verwiesen: Das Arusha-Friedensabkommen vom August 1993, das den im Oktober 1990 begonnenen Krieg zwischen Ruandas Regierung und der RPF-Guerilla vorerst beendet hatte, kam vor allem deswegen zustande, weil es den Abzug der damals noch in Ruanda stationierten 600 französischen Soldaten ermöglichte und statt dessen der unparteiischeren UNO die führende Vermittlerrolle zuwies. Wie könne Frankreich damit rechnen, durch eine Intervention französischer Truppen diesem Plan jetzt zum Durchbruch zu verhelfen?

Damals begrüßte Frankreich vorgeblich eine stärkere Rolle der UNO. Jetzt aber, so Twagiramungu, sei Frankreich dabei, die UNO nach kaum einem Jahr Ruanda-Präsenz wieder auszuschalten. Schon jetzt wird die UNO- Mission in Ruanda, gegen ihren eigenen Willen, von der RPF praktisch als Kriegspartei behandelt, da der UN-Sicherheitsrat den französischen Einsatz gebilligt hat. Die vor einem Monat beschlossene Entsendung einer 5.500köpfigen Blauhelmtruppe wird durch Frankreichs Intervention daher nicht vorbereitet und erleichtert, sondern verzögert und vielleicht sogar verhindert. Wenn dies Absicht ist, kann es nur dem Zweck dienen, Frankreich wieder zum alleinigen Schiedsrichter im Ruanda-Krieg zu erheben. Und das sichert auch die Pfründe der durch private Verbindungen Richtung Paris äußerst frankophilen bisherigen Herrscherkaste um den ermordeten Habyarimana.

Denn mit dem französischen Einsatz, wie er jetzt erfolgt, wird auch eine Zweiteilung Ruandas festgeschrieben. Durch eine mehrmonatige französische Truppenstationierung in West-Ruanda entstünde als Pariser Protektorat ein „Hutu- Land“, in dem die für den Völkermord verantwortlichen Regierungsmilizen weiter die Kontrolle ausüben würden. Das Ziel Frankreichs, eine RPF- Machtübernahme zu verhindern, wäre damit so gut wie erreicht.

Erreicht wird auch eine Fortsetzung des Krieges. Schon jetzt verstärkt die RPF täglich ihre Offensiven, um vor einem befürchteten Einmarsch der Franzosen ins Zentrum Ruandas und der Festschreibung einer „Waffenstillstandslinie“ soviel Gebiet wie möglich zu erobern. Bei weiteren RPF-Erfolgen bleiben der Regierungsseite vermutlich nur noch die Gegend um Cyangugu, das hinter einer Bergkette im Südwesten liegt, und die nordwestliche Region um die Städte Gisenyi und Ruhengeri – die Heimat des ermordeten Präsidenten Juvénal Habyarimana. Hilfsorganisationen erwarten in diesem Fall einen erneuten Massenexodus von Hunderttausenden Ruandern nach Zaire, in dessen Ostregion Kuvi die Spannungen zwischen einheimischen Ethnien und zugewanderten Ruandern bereits seit Jahren steigen.

Aber ist all dies Absicht? Offiziell sollen ja „nur“ Menschenleben gerettet werden. Aber kann es wirklich sein, daß Paris sich der Konsequenzen seiner Handlungen nicht bewußt ist? Wohl zu Recht nennt die einer Intervention eigentlich positiv gegenüberstehende Pariser Zeitung Le Monde den französischen Einsatz ein „Fiasko, bevor er begonnen hat“.

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