: Keine Kids mit Killerwünschen
Kampfsportler beklagen mieses Image / Tradition und Philosophie für viele wichtig / Arnis fast unbekannt, obwohl heute die Meisterschaft stattfindet ■ Von Eva Blank
Prügelnde Polizisten, philosophierende Stockkämpfer, durch die Luft fliegende Asiaten – das Image der Kampfsportarten ist vielfältig. Groß ist auch die Zahl der Selbstverteidigungstechniken; einige von ihnen sind praktisch unbekannt. Das gilt auch für Arnis, obwohl heute im Sport Forum Berlin die ersten Deutschen Meisterschaften stattfinden.
Gunnar Siebert, Trainer im Kreuzberger Arnis Eskrima Kali Verein, weiß nicht, warum Arnis so unbekannt ist. Er versucht mit Kursen an der TU den Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Für ihn ist „modernes Arnis Sport und Selbstverteidigung zugleich“. Typisch für die Sportart sind die 60 bis 70 Zentimeter langen Stöcke, die sehr schnell und mit hoher Präzision wirbelnd geschlagen werden. Zuerst wird der Umgang mit dem Stock und danach die waffenlose Verteidigung erlernt. „Die Entwaffnung des Gegners ist das Hauptziel, dazu kann der Arnis- Kämpfer auch, falls gerade kein Stock zur Hand ist, Gegenstände, die er bei sich trägt, zum Beispiel Regenschirm, Mappe, Handtuch, Schal oder eine zusammengerollte Zeitung benutzen.“
Ju-Jutsu dagegen, als waffenlose Selbstverteidigung, „beruht hauptsächlich auf Techniken aus dem Judo, Aikido, Karate, vervollständigt durch Techniken aus dem Boxen und Kickboxen“, so Uwe Stindt, Trainer im No Style Combat Verein. Die Verteidigung finde hauptsächlich mit dem eigenen Körper statt, der auch dementsprechend in den Trainingsstunden präpariert werde. Dem Vorwurf, Ju-Jutsu (nicht zu verwechseln mit dem viel älteren Jiu-Jiutsu) sei „Bullensport“, entgegnet er lächelnd: „Ende der sechziger Jahre entwickelten hohe Schwarzgurt- Träger, die alle im Polizeidienst tätig waren, dieses moderne Selbstverteidigungssystem, da sie die Grenzen der traditionellen Kampfsportarten kannten. Heute machen aber viele von der Polizei unabhängige Vereine Ju-Jutsu.“
Joachim Grupp, Trainer im Shotokan Karate Verein Berlin (SKB), weiß aus eigener Erfahrung, daß „Kids mit Killerwünschen sehr schnell wieder den Verein verlassen, da das langwierige und mühsame Einüben der Grundtechniken nicht ihren Vorstellungen entspricht“. Karate sei zwar sehr gut bekannt, wenige aber wüßten, daß die meisten Vereine das erst in den dreißiger Jahren von dem Japaner Gichin Funakoshi entwickelte Shotokan-Karate praktizierten: „Im Shotokan- Karate überwiegen kraftvolle, stoßende Techniken.“ Entwickelt habe es Funakoshi, um das traditionelle Karate der breiten Masse zugänglich zu machen.
„Im Wettkampf sind Techniken erprobt und später perfektioniert worden. Das alte Karate-do umfaßt ältere, traditionelle Techniken, in etwa dem Aikido vergleichbar. Ursprünglich bedeutete Karate-do der Weg zu sich selbst, der nur durch ständiges Üben erreicht werden kann.“ Zwar sei diese Anschauung heute nur sehr schwer vermittelbar, weiß Joachim Grupp, „trotzdem kann Shotokan- Karate als lebensbegleitender Sport gelten, der Ruhe und Ausgeglichenheit schenkt“.
Als offenes System gilt hingegen Ju-Jutsu, so Trainer Stindt. Das bedeute, daß die Techniken den Anforderungen einer modernen Selbstverteidigung gemäß immer weiter perfektioniert werden. So können zum Beispiel Techniken aus Stockkampfsportarten miteinfließen, sollten diese für die Verteidigung nützlich sein. Tradition und Philosophie haben also wenig Bedeutung, die wenigsten Trainer legen nach Stindts Einschätzung Wert darauf. Seine eigene Philosophie bestehe darin, „daß der Trainer den Schwerpunkt auf Menschlichkeit und Verantwortlichkeit legt und nicht brutale Prügler heranzüchtet.“
Für Gunnar Seibert ist der traditionelle Hintergrund von Arnis wichtig. Natürlich zweifle er daran, daß man den Arnisschülern Demut und Geduld in dem Maße beibringen könne, wie das in der Heimat von Arnis, den Philippinen, der Fall sei.
Arnis-Philosophie: Der Stock als Freund
„Der Stock übernimmt etwas von der eigenen Persönlichkeit“, erklärt Gunnar Seibert zur Philosophie von Arnis: „Der Arniskämpfer sieht seinen Stock als Freund, der ihm notfalls das Leben rettet. Daher wird der Stock sorgsam behandelt, nicht dem Gegner übergeben oder gar fallen gelassen, so verlangt es zumindest die Etikette im Training.“
„Ein typisches Training besteht aus der Aufwärmphase und dem Stretching, danach werden Übungen für das Handgelenk gemacht, um dann die Techniken zu üben“, so Gunnar Siebert. Ähnlich verläuft das Training im Karate. Es sei hierarchisch und diszipliniert, um Konzentration für die Ausführung der Techniken zu erreichen. „Aber immerhin geht hier keiner, wie in Japan, mit dem Stock durch die Reihen der Schüler, um so falsche Technikausführungen zu bestrafen“, sagt Joachim Grupp.
„Das Training im Ju-Jutsu konzentriert sich auf Kondition und Kraftaufbau, um so durch wiederholte Dehnungsübungen die Verletzungsgefahren in der Fallschule oder bei den Würfen zu verringern“, so Uwe Stindt. Die Anforderungen im Ju-Jutsu an die Konzentrations- und Leistungsfähigkeiten seien hoch. „Spaß an der Bewegung, spielerisches Kämpfen mit dem Partner und Verbesserung des Körpergefühls sind Hauptziele im Ju-Jutsu. Durch sein offenes System kann Ju-Jutsu von allen Bevölkerungsgruppen trainiert werden, da es den Bedürfnissen von Kindern, Senioren und Behinderten angepaßt werden kann.“
Daß bisher sowenig Frauen Ju- Jutsu trainieren, liegt nach Stindts Meinung am Image von Ju-Jutsu als hartem Sport. Es gebe aber keinen Grund, warum Frauen nicht auch diese Sportart trainieren sollten. Gunnar Siebert hält gerade Arnis für Frauen für sinnvoll, da der Stock ihnen eine größere Reichweite und mehr Kraft gebe. Auch für Behinderte, zum Beispiel für Rollstuhlfahrer, sei Arnis durch diese Komponente sinnvoll.
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