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Reformarchitektur entstaubt

■ Drei Tage kreativer Architektur-Streit beim Fritz-Schumacher-Symposium

Die Großstadt als soziales Kunstwerk: Zu diesem Thema trafen sich internationale Fachhistoriker und Praktiker aus Architektur und Stadtplanung von Donnerstag bis Sonnabend vergangener Woche beim vierten „Fritz-Schumacher-Symposium“ im Festsaal der Handwerkskammer, die 1912 bis 1915 nach Schumachers Plänen gebaut worden war.

Wie schon die Ausstellung in der Deichtorhalle stellte das Symposium den vor 125 Jahren geborenen Schumacher in den Kontext der Reformarchitektur in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts. Materialreiche Sachkenntnis der Bauhistoriker aus Deutschland, England, Holland, Italien und USA wechselte mit beredter Selbstdarstellung des Hamburger Architektenstars Volkwin Marg oder scharfen Forderungen an Politik und Wirtschaft wie von der Münchner Stadtplanungschefin Christiane Thalgott, die zuvor mitverantwortlich für das neue Zentrum Norderstedts war.

Fritz Schumachers Werk erwies sich wieder als ein thematischer Quell, mit dem sich die unterschiedlichsten Wertungen speisen ließen. In den 20er Jahren war vor allem seine Planung für Köln unter Oberbürgermeister Adenauer weit beachtet. Doch nach dem zweiten Weltkrieg änderte sich die Einschätzung. Freunde wie der amerikanische Kulturkritiker Lewis Mumford warfen dem „unpolitischen“ - wie er sich selbst einschätzte - Stadtbaumeister vor, durch seinen Rückzug nach 1933 die NS-Herrschaft gebilligt zu haben, ja fanden es sogar negativ bezeichnend, daß Schumacher früher Krematorien gebaut hatte.

Auch die Architekten des Aufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg rückten seine Architektur samt ihrer Monumentalität gefühlsmäßig, aber unbegründet in die Nähe der NS-Ideologie und knüpften lieber an die Moderne des Altonaer Baudirektors Gustav Oelsner an. Doch Hartmut Frank, Architektur-Professor an der HfbK, arbeitet mit Nachdruck an der Aufwertung Schumachers in allen Bereichen und wird nicht müde, weniger dessen Stilismen als die Umfeldorientierung seiner Architekturplanung als wichtiges Erbe des stets sozial orientierten Künstler-Architekten zu behaupten.

In 20 Referaten entstaubte das Symposium die Stadtplaner um 1910 von konservativer Einschätzung und wertete sie als wahre Reformer auf. Die damaligen Reformansätze waren weitgespannt: Nietzsche, Fidus und das Gesamtkunstwerk als Idee bestimmten die Deutschen; Kropotkin und Landauer brachten den Anarchosozialismus nach England. Genossenschaftsideen und Sozialutopie prägten überall das Denken. 1902 formuliert Ebenezer Howard als neues Ideal die Gartenstädte, schon vorher wurden Grüngürtel um die übervölkerten, ungesunden Städte geplant. Aber auch die Revitalisierung der zu Slums verkommenen Innenstädte wurde betrieben.

Nicht in die Landschaft flüchten, sondern die Stadt gestalten, könnte die aktuelle Botschaft des Referats von Iain Boyd-Whyte, Direktor des Architekturzentrums in Edinburgh, zusammengefaßt werden, eine Position, die die ständigen Predigten nach Verdichtung und Urbanität durch Hamburgs Oberbaudirektor Egbert Kossak unterstützt. Wie Gegensätze in eine architektonische Form gebracht werden können, zeigte Achim Preiß aus Weimar in seinem Vortrag über das Museum für Hamburgische Geschichte, das er als Architektur einer Modellstadt vorstellte, die in gemäßigten Grenzen das Publikum inszenatorisch bedient und dabei im Gegensatz zur Kunsthalle steht. Sie ist im wesentlichen von Albert Erbe und Alfred Lichtwark selbst gestaltet und der zeitlosen Atelier-Atmosphäre verpflichtet. Beide Bauten stehen für die bis heute nicht gelöste unterschiedliche Auffassung von Museumsarchitektur als eigenständigem Erlebnis oder nur dienender Hülle der Kunst. Am Beispiel der Planungen zur Sanierung der südlichen Spreeinsel in Berlin in der Weimarer Republik machte der Stadtsoziologe Harald Bodenschatz die gerade heute aktuellen Konflikte zwischen dem damals positiven Ideal der „Maschinenstadt“ und der „Fußgängerstadt“ deutlich. Er zeigte, wie schon damals soziale Argumentation zum Mäntelchen der Wertschöpfung und Verkehrsplanung zum alleinigen Mittel der Raumordnung wurde.

Koos Bosma von der Universität Amsterdam führte die heutige holländische Planung vor, die sich konsequent nach den Vorgaben der Euregio, der sogenannten „Banane“ von Rotterdam bis Mailand, richtet. Hier ergeben sich seltsam unproblematisch bemerkte Parallelen zur europäischen Planung der Reichsstelle für Raumordnung von 1941. Überhaupt betrieb das NS-Regime im großem Stil Planung, die bis heute fortwirkt. Erinnert sei nur an das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937. Stadtplaner haben immer etwas von „Beglückungstyrannen“ (Thalgott), die über die Interessen der Einzelnen hinweggehen.

Hier global vernetzt zu denken und trotzdem lokal veranwortlich zu arbeiten, ist das hohe Ziel. Tatsächlich werden aber übergreifende Pläne von zahlreichen Interessen verhindert, sind die ökologisch begründeten Freiheitseinschränkungen auch nur eine Variante von argumentativer Absicherung. Doch angesichts aktueller Probleme wie Ostöffnung und Südeinwanderung bei schwindenden Ressourcen ist die Versöhnung der Gegensätze weniger denn je in Sicht. Die Politik wird nicht umhin kommen, steuernd in die Verteilung von Grund und Boden, einzugreifen.

Schumacher, aus dessen Schriften gelegentlich wie aus der Bibel zitiert wurde, hatte für eine Veranstaltung wie diese auch schon einen Kommentar: „Nichts ist anstrengender als die Auseinandersetzung mit angeregten Kollegen.“ Aus kunstbezogenen und fachspezifischen Diskussionen heraus war es Christian Farenholtz, streitbarer Ex-Prof der TU Harburg, der immer wieder auf die Rahmenbedingungen verwies. Für ihn sind angesichts des starken Investorendrucks und unerträglich leichtfertigen Verkaufs öffentlichen Bodens in Hamburg und im neuen Osten die politischen Dimensionen des ganzen Architektursommers deutlich zu gering. Hajo Schiff

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