: Berber zwischen der FIS und dem Regime
Ostalgerien ist von den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen kaum berührt / Das Regime versucht, Milizen gegen Islamisten aufzustellen / Kampf um kulturelle Anerkennung ■ Aus Tizi Ouzu Khadir Obeid
„Willkommen in der Stadt der Sicherheit und der Ruhe!“ Ein erstaunlicher Empfang in einem Land, in dem Mord und Gewalt zum festen Bestandteil des Alltags geworden sind. Ibrahim B., ein Lehrer in der Berberstadt Tizi Ouzu im Nordosten Algeriens, scheint die Irritation seines Besuchers zu spüren. „Wir sind Amazieghs“, fügt er hinzu, „wir haben eine tiefe Abneigung gegen Gewalt und fundamentalistische Anschauungen. Respekt vor der Meinung Andersdenkender und die Suche nach Kompromissen im Konfliktfalle gehören zu unserer Tradition.“
„Amaziegh“ nennen sich heute in Algeriens Berber-Region viele, die sich mit der abfälligen Bedeutung der gängigen Bezeichnung für ihr Volk nicht abfinden wollen. Denn „Berber“ hat im Arabischen eine ähnlich Bedeutung wie das verwandte deutsche Wort „Barbar“.
Der 30jährige Ibrahim führt seinen Gast durch die Straßen von Tizi Ouzu, der politischen und kulturellen Hauptstadt der Amaziegh-Provinz gleichen Namens. Rund 200.000 Menschen leben hier. Algier mit seinen täglichen Schießereien und Überfällen, seiner politischen Spaltung und Verunsicherung, seiner Brutalität und seinem Elend, ist hundert Kilometer weit entfernt, und hier in Tizi Ouzu fühlt man sich tatsächlich wie in einer anderen Welt. Eingebettet in sanfte grüne Hügel liegt die Stadt da. Keine Soldaten auf den Straßen, keine Waffen, keine Checkpoints. Und vor allem sieht man keinen einzigen „Ninja“, wie die besonders gefürchteten, schwarz vermummten Mitglieder der Anti- Terror-Spezialeinheiten in Algerien genannt werden.
„Von den nächtlichen Ausgangssperren, die das Regime in Algier fast in allen Städten und Provinzen verhängt hat, sind wir Gottseidank ausgenommen“, sagt Ibrahim B., „schließlich haben die Islamisten hier keinen Fußbreit Unterstützung gewinnen können. Den diktatorischen Machthabern in Algier sind wir wegen unserer Amaziegh-Traditionen aber dennoch ein Dorn im Auge.“
Im Stadtzentrum angekommen wird das Gedränge so dicht, daß man kaum mehr vorwärts kommt. Aus den geöffneten Türen zahlreicher Musikläden ertönt ein Potpourri aus arabischer und berberischer Musik. Die Buchläden haben zweisprachige Auslagen, sogar die Schilder auf den Straßen sind häufig in beiden Schriften und Sprachen gehalten.
Ibrahim weist mehrfach voller Stolz auf diesen Umstand hin. „Wir haben lange warten müssen, bis wir unsere Sprache offen sprechen und schreiben durften, und wir haben eine hohen Preis dafür bezahlt.“ Seine Stimme klingt plötzlich bitter. Nicht nur der Lehrer Ibrahim, auch der Kaufmann Lutfi hat die Schrecken der jüngeren Vergangenheit noch nicht vergessen. „Es war uns lange verboten, berberisch zu sprechen“, erzählt der 65jährige in seinem Büro. „Wenn Geheimdienstleute ein Buch auf berberisch bei dir fanden, konntest du für Jahre hinter Gittern landen. Unsere politischen Aktivisten wurden verfolgt und gefoltert.“
Lutfi ist ein Veteran aus dem Befreiungskampf gegen die Franzosen. Sein zerfurchtes Gesicht und seine faltigen Hände weisen darauf hin, daß er viele harte Jahre erlebt hat. „Nach dem Befreiungskampf und der Unabhängigkeit 1962 kam dann der große Berberaufstand gegen das Regime“, erinnert er sich. Unter der Herrschaft von Ben Bella wurde der Aufstand blutig niedergeschlagen, der begonnen hatte, als die „Front der Sozialistischen Kräfte“ FFS unter der Führung des Berbers Ait Ahmed vom Regime verboten wurde. Ait Ahmed wurde anschließend zum Tode verurteilt.
Doch 1965 kam es zu einem Friedensschluß mit den Machthabern in Algier, Ait Ahmed kam frei, die FFS wurde als Partei zugelassen. Drei Tage nach diesem Abkommen putschte sich der damalige Verteidigungsminister Boumedienne an die Macht und für die Berber kamen erneut schwere Zeiten.
Auch Lutfi wurde zweimal verhaftet und saß viele Jahre im Gefängnis. „Unsere Muttersprache haben wir als Kinder heimlich lernen müssen. Auf Hochzeiten haben wir die arabischen Lieder laut und die Berber-Lieder ganz leise gesungen, damit niemand sie hört.“ Ein Glück nur, daß die Kassetten erfunden worden seien. „Sie haben beim Schutz unserer Kultur eine sehr wichtige Rolle gespielt. Wir haben Überspielungen gemacht und sie überall verteilt. So konnten wir wenigstens unsere Musik hören.“
Am 20. April wurde in Tizi Ouzu „Tephsut“ gefeiert. Das „Fest des Frühlings“ ist seit 1980 auch eine politische Manifestation. An jenem Tag demonstrierten die Studenten in Tizi Ouzu und besetzten anschließend die Universität. In der darauffolgenden Nacht griffen Soldaten das Gebäude an. „Sie haben damals Polizeihunde auf uns gehetzt“, erinnert sich Ibrahim, der zu dieser Zeit noch studierte, „und natürlich haben sie mit Knüppeln auf uns eingedroschen, viele von uns verhaftet.“ Doch darauf folgte ein „Jahrzehnt der Berber“, meinen Lutfi und Ibrahim, die Demonstration schien also nicht umsonst gewesen zu sein.
Unter Präsident Chadli Ben Jedid, der im Jahre 1979 Boumediennes Nachfolge antrat, wurden einige Forderungen der Berber erfüllt. Am Ende waren die Konzessionen aber so gering, daß die Brotaufstände 1988 auch unter massiver Beteiligung der Berber stattfanden. „26 Jahre Diktatur sind genug – wir fordern die Anerkennung unserer Kultur!“, war damals ihre Parole.
Unter dem Druck der Opposition begann tatsächlich eine Liberalisierung und im Dezember 1991 kam es zu den ersten freien Wahlen in Algerien. Die „Islamische Heilsfront“ (FIS) erhielt die überwältigende Mehrheit der Stimmen, woraufhin die Militärs die Stichwahlen absagten und die Macht übernahmen. Bei der Stimmenauszählung hatte die „Front der Nationalen Kräfte“ von Ait Ahmed an zweiter Stelle gestanden. Rund 80 Prozent der „Amaziegh“ hatten sie gewählt.
„Es gibt Gruppierungen innerhalb des Regimes, die heute versuchen, uns im Kampf gegen die Islamisten zu instrumentalisieren“, erklärt Dschamal, ein Mitglied der FFS, bei einem Gespräch am Abend. „Das Regime versorgt ehrgeizige Berber-Politiker mit Waffen und Geld, damit sie bewaffnete Gruppen bilden, die sich am Krieg des Regimes gegen die Islamisten beteiligen.
Mit den „ehrgeizigen Politikern“ meint der FFS-Aktivist vor allem Said Saadi und seine Organisation „Versammlung für Kultur und Demokratie“ (RCD). Die „Versammlung“ wurde 1989 gegründet und entstand aus einer Abspaltung der FFS. Saadi erklärte jüngst in einem Interview, in den Berbergebieten wären bereits mehrere bewaffnete Gruppen gegen die Islamisten gebildet worden. „Aber Saadi hat keinen Einfluß unter den Berbern“, sagt Dschamal, „in den letzten Kommunalwahlen von Tizi Ouzu hat seine RCD nur rund 5 Prozent der Stimmen erhalten.“
Doch unter den Berbern mache sich allmählich große Angst vor den Islamisten breit, „denn sie bestehen darauf, daß Algeriens Identität arabisch und islamisch ist. Wir glauben, anders als das Regime, nicht daran, daß man das Problem der Islamisten in Algerien mit Gewalt lösen kann. Wir können ihnen nur mit demokratischen Mitteln begegnen. Und die Demokratie ist auch für uns die einzige Garantie dafür, daß wir irgendwann unsere Rechte bekommen.“
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