Guter Mensch, böser Deutscher

■ Die Linke und die Nation: Der PDS-Kandidat Heinrich Graf von Einsiedel diskutierte mit Jürgen Elsässer, "Junge Welt"-Redakteur / Pflege der Gewißheiten

Nichts liebt die Restlinke so sehr, wie gegenseitig aneinander vorbeizureden. Vor allem, wenn es um ein heikles Thema wie die Nation geht. Seit die PDS Bismarcks Urenkel Heinrich Graf von Einsiedel als unabhängigen Kandidaten auf ihre offene Liste für die Bundestagswahl setzte, hat das linke Milieu ein neues, personifiziertes Feindbild. „Wenn ich heute über die ehemalige Zonengrenze fahre“, so hatte der 72jährige im Neuen Deutschland erklärt, „bin ich bereit, die Nationalhymne anzustimmen.“ In den linken Gazetten wird seitdem heftig debattiert, attackiert und verbal zurückgeschossen.

Am Dienstag abend stellte sich der „Deutschnationale“ (Einsiedel über Einsiedel) nun dem Konkret- Autor und Junge Welt-Redakteur Jürgen Elsässer, der die Spaltung Deutschlands für die „größte Leistung der Linken“ hält. Keine Frage, das Thema „Die Linke und die Nation“, so der von der früheren DDR-Zeitung und der Arbeitsgruppe alternative Ringvorlesung gewählte Titel für die Veranstaltung, bewegt die linke Seele. Trotz Fußballweltmeisterschaft und drückender Sommerhitze waren rund 250 Besucher in die Humboldt-Universität Unter den Linden gekommen. Die Krise der Linken, so wurde bald deutlich, ist auch eine Krise des Diskussionsstils. Solche Veranstaltungen werden nicht besucht, um sich gegenseitig zuzuhören. Statt dessen werden Gewißheiten gepflegt, die im Hinterstübchen ausgegoren und nun endlich in den Saal hinausposaunt werden dürfen.

Warum, so fragte ein Zuhörer noch vor dem ersten Wortbeitrag, habe man überhaupt einen „bekennenden Deutschnationalisten“ wie Einsiedel eingeladen. Ohren zu, Mund auf – das war die Devise des Abends. Der 1957 geborene Elsässer, streitsüchtig und rhetorisch gewieft, verbeugte sich zunächst vor dem Lebensweg des Grafen. Daß dieser nach seiner Gefangennahme in der UdSSR im Nationalkomitee Freies Deutschland gegen Nazideutschland mitarbeitete, hätte die „Pflicht jedes anständigen Menschen“ sein müssen. Nach diesem taktischen Schachzug erfolgte schnell die Demontage, die in weiten Teilen weniger gegen Einsiedel als gegen die PDS gerichtet war. Teile der Partei versuchten, „deutsch-nationale Traditionen“ der Arbeiterbewegung wiederzubeleben. Wie jüngst in einer Verteidigungsschrift des PDS-Parteivorstandes für Einsiedel geschehen, in der der Nationsbegriff von der kapitalistischen Produktionsweise abgekoppelt und ins Mystische, in den Bereich des Vorpolitischen, verlagert worden sei.

Die „nationalistische Versumpfung“ der kommunistischen Bewegung, die in der ehemaligen UdSSR bereits Realität sei, greife nun auf Westeuropa über. Für die Linke in diesem Land, so der Redaktionsleiter der Jungen Welt, stelle sich eine zentrale Frage: „Willst du Deutscher sein oder Mensch?“ Ein mehr und mehr gekränkter Einsiedel ließ sich auf die theoretischen Überlegungen seines Kontrahenten gar nicht erst ein. Das Nationalgefühl komme aus „tieferen Quellen“, die Menschen lebten nun einmal in nationalen Verbänden, Politik müsse im „gegebenen Umfeld“ praktiziert werden und nicht im „Wolkenkuckucksheim“.

Je länger der Abend andauerte, um so mehr entfernten sich Publikum und Podium vom angekündigten „Streitgespräch“. Der linke Geist blieb auf der Strecke. Nicht die eigene Denkanstrengung war gefragt, sondern die Suche nach dem passenden Zitat: Mit Marx, Lenin und Luxemburg steckten Einsiedel-Gegner und -befürworter das Kampffeld ab. Elsässer deckte mit kühler Analyse die verheerenden Wurzeln der nationalbolschewistischen und antisemitischen Tradition der Arbeiterbewegung und der SED auf und zitierte die KPD-Politikerin Ruth Fischer, nach der die „Judenkapitalisten“ niedergetreten und an der Laterne aufgehängt werden sollten.

Einsiedel dagegen sah in der Polemik nur eine „Kampfveranstaltung gegen die PDS“. Heftig wehrte er sich gegen den Vorwurf, ein Nationalist zu sein. Das sei jemand, der sich über andere erhebe. Man könne jedoch „andere Nationen nicht lieben, wenn man die eigene nicht liebt“. Ablehnung und Zustimmung waren an diesem Abend geteilt. Wechselseitige Beleidigungen erfolgten. Beschimpfte ein Elsässer-Anhänger den Grafen als „nationalistisches Fossil“, machten die Gegner bei den Deutschland-Hassern „krankhafte“ Selbstverleugnung aus.

So endete die Veranstaltung, wie sie begonnen hatte: Jeder sah sein Weltbild auf das allerschlimmste bestätigt. Elsässer zeigte sich „erschrocken“ über manche Redebeiträge. Und der Adelsmann verlor schließlich seine Contenance: „Bleibt in eurem 0,2-Prozent- Ghetto und onaniert vor euch hin.“ Severin Weiland