piwik no script img

Marlowe und das große Spiel

Der ultimative Weltmeisterschaftskrimi aus Los Angeles: Eine Mütze für die Katze, eine Stimme mit zwei glutsprühenden Augen und jede Menge Leichen  ■ Von Matti Lieske

Als ich nach einem verdammt großen Schlaf die Augen öffnete und mich noch etwas desorientiert umschaute, bekam ich einen Schlag über die Rübe, der einem Ochsen die Hörner versenkt hätte. Das war ich gewohnt, also legte ich ich mich wieder hin und schlief noch eine Weile.

Beim nächsten Erwachen war ich vorsichtiger. Erst öffnete ich das eine, dann das andere Auge und stellte beruhigt fest, daß beide auf reine Luft und eine Flasche Scotch stießen. In meinem Kopf tobte der Glöckner von Notre Dame und meine Zunge fühlte sich an wie ein flambierter Pferdeapfel, schrumpfte aber mit derselben Geschwindigkeit wie der Whisky in sich zusammen.

Ich zog mich an und fuhr ins Büro. Dort öffnete ich das Fenster und hielt mich am Telefon fest, um nicht vom Sog hinausgerissen zu werden. Das Telefon fühlte sich animiert und klingelte.

„Marlowe“, röchelte ich in den Hörer.

„Okay, ich komme gleich vorbei“, wisperte am anderen Ende eine weibliche Stimme von der Sorte, für die man entweder einen Waffenschein oder eine Vollkaskoversicherung braucht.

Wenig später saß die Stimme samt Zubehör vor meinem Schreibtisch. Sie hatte zwei glutsprühende Augen, die auf der Stelle mein Ohrenschmalz zum Kochen brachten. Mehr konnte ich nicht sehen, weil die Stimme einen Schleier und einen langen Kaftan trug.

„Möchten Sie eine Vollkaskoversicherung oder einen Whisky?“, fragte ich, aber sie ging nicht darauf ein.

„Zehn Riesen, wenn Sie mir eine Karte für das Soccer-Endspiel besorgen“, sagte sie mit ihrer unterversicherten Stimme.

„Für zehn Riesen besorge ich Ihnen die Zahnspange von Bill Clinton“, grinste ich, nahm zehn Zwerge Vorschuß in Empfang, war auf einmal allein und hatte ein Problem: Ich hatte keinen Schimmer, was Soccer ist.

Zuerst rief ich Sam Spade an, Sie wissen schon, diesen Blindgänger mit dem dämlichen Hut und den großen Füßen. Wie vorauszusehen, hätte ich mir das sparen können. Erst verlangte er fifty-fifty und dann erklärte er mir, daß Soccer dieses komische Spiel sei, wo tabakkauende Vollidioten alle halbe Stunde mit einer Zaunlatte einen Tennisball wegdreschen müßten. Als ob ich nicht wüßte, wie Basketball geht.

Ich würde mich also wohl oder übel auf die Socken machen müssen. Am ersten Tag kam ich bis zur nächsten Ecke, wo mir der Barkeeper eröffnete, daß ich einen Deutschen fragen müßte, die wüßten, was Soccer sei. Das habe er jedenfalls gehört. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, bekam ich einen Schlag über die Rübe, ein paar Stunden später kaufte ich mir eine deutsche Zeitung, die ich gleich wieder wegwarf, weil ich kein Deutsch kann.

Nun war guter Rat teuer. Meine Füße fühlten sich an wie zwei Waffenscheine ohne Vollkaskoversicherung, denn ich war inzwischen an der übernächsten Ecke angekommen, wo mir der Barkeeper erklärte, ich müsse in ein Kaff namens Zürich fliegen, da sei das Hauptquartier dieser Soccer- Gang. Das habe er jedenfalls gehört. Also düste ich nach Zürich, aber die Brüder waren ausgeflogen, nach Amerika, wie mir ein Eingeborener versicherte, der wie ein Schweizer Käse redete und auch so aussah. Immerhin eine heiße Spur.

Am Flughafen in New York kam mir ein als Hund verkleideter Wahnsinniger mit einer schwarz- weiß karierten Kugel entgegen. Ich knallte ihn ab, bevor er mir was anhaben konnte, stellte dann im Souvenirshop, wo ich meiner Katze eine Joe-Montana-Mütze kaufen wollte, aber fest, daß der verrückte Hund auf allen T-Shirts abgebildet war. Und dann sah ich es: „Soccer World Cup“ stand darüber. Offenbar hatte ich gerade den Boß der Bande umgelegt.

Ich kaufte mir ein T-Shirt und nahm mir vor, die Orte abzuklappern, die darauf verzeichnet waren. In Chicago traf ich endlich Deutsche, mit denen aber nichts anzufangen war. Sie konnten zwar englisch, aber nicht mehr reden, weil sie zu blau waren. Noch blauer waren die Iren in Boston, die dafür unaufhörlich redeten, und am blauesten war ich. Irgendwann bekam ich einen Schlag über die Rübe. Als ich aufwachte, ging es mir erheblich besser und ich flog nach Orlando.

Dort landete ich einen Volltreffer. Eine orangegekleidete Sekte, die einen Gott mit Zöpfen anbetete, nahm mich mit in ein Stadion, wo Leute in kurzen Hosen sinnlos über eine Wiese taperten.

„Soccer“, sagte einer der Mönche und mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Das war es also, dieses obszöne Ritual, welches zur Zeit dauernd im Fernsehen zu sehen war.

Ich stand kurz vor der Lösung eines meiner härtesten Fälle, aber bevor ich weitere Erkundigungen einziehen konnte, hatten meine Begleiter begonnen zu beten. „Cholland“ und „Wereldcup“ murmelten sie beständig vor sich hin, ich machte, daß ich davonkam, denn ich befürchtete einen Massenselbstmord und wollte nicht darin verwickelt werden. Wahrscheinlich hätten die Cops wieder mir die Sache angehängt.

Bevor ich ging, flüsterte mir einer der Orangisten noch ein magisches Wort zu: „Rosebud“. Irgendwo hatte ich das schon mal gehört, aber ich kam nicht drauf. Ich flog erstmal nach San Francisco, wo ich wieder einen dieser lästigen Hunde abknallen mußte und gleich darauf von einer Horde gelbgekleideter Drummer gekidnappt wurde. Probehalber brüllte ich einfach mal „Rosebud“ in den Lärm und erntete frenetisches „Brasiu, Brasiu“-Geheul. Ein geheimer Code. Ich war auf der richtigen Fährte. Zeit, nach L. A. zurückzukehren.

Am Flughafen kaufte ich mir eine Zeitung, um festzustellen, ob „Malteserfalke“, auf den ich zwei Halbriesen gesetzt hatte, das Pferderennen am Sonntag gewonnen hatte. Er hatte nicht, aber dafür stand dort ausführlich all das, was ich in den letzten Tagen herausgefunden hatte, außerdem das letzte aller Puzzleteilchen. Nicht „Rosebud“, sondern „Rose Bowl“. Die Rose Bowl in Pasadena, Schauplatz des Soccer-Finales und — ausverkauft.

Ich wollte gerade in Tränen ausbrechen, da trat ein kleiner trauriger Mann auf mich zu, dessen Hemd die Inschrift trug: „Fußball ist Gott und Valderrama ist sein Prophet.“ Mit den Worten „Gott ist tot“ überreichte er mir ein Stück Papier und ging davon, um sich unter das nächste Flugzeug zu stürzen. Ich sah mir das Papier näher an. Es war ein Ticket für das Soccer-Endspiel.

Noch vom Flughafen aus rief ich meine Klientin mit der brisanten Stimme an und erhielt die verheißungsvolle Aufforderung, doch gleich bei ihr vorbeizukommen. Sie öffnete mir die Tür und bat mich, in das Zimmer zu treten. Kaum war ich drinnen, kam hinter dem Fenstervorhang ein Mann in kurzen Hosen und mit blonder Medusenfrisur hervor und schlug der verschleierten Stimme den Ellbogen ins Gesicht, so daß der Schleier zu Boden fiel. Im selben Moment trat aus dem Badezimmer ein verkleideter Hund mit einer Pistole in der Hand und erschoß den Lockenkopf. Ich erschoß den Hund, Macht der Gewohnheit, im selben Moment sah ich, wie meine Klientin einen Revolver auf mich richtete. Dann bekam ich einen Schlag über die Rübe.

Monate vergingen, so schien es mir jedenfalls, bis ich langsam wieder zur Besinnung kam. In meinem Kopf verübte Deep Purple einen Soundcheck und meine Zunge fühlte sich an wie ein geplatzter Fußball, aber das war im Moment zweitrangig. Auf einem Sofa lag meine Klientin, die ihre Stimme nun nicht mehr zu versichern brauchte und außerdem ohne Schleier verdammt dem deutschen Bundestrainer ähnelte, dessen Bild ich gerade in der Zeitung begutachtet hatte. Unter dem Sofa lag ein zweiter von diesen blöden Hunden, den diesmal aber nicht ich auf dem Gewissen hatte.

Im Raum verteilt waren Hund Nummer 1, Lockenköpfchen und rund 25 weitere Leichen, die ich allesamt nicht kannte und auch nicht näher kennenlernen wollte. Neben mir aber lag mein Hut — oder war es der von Sam Spade? — darin befanden sich zehn Riesen und das Ticket für die Rose Bowl.

Wohl oder übel blieb mir nichts anderes übrig, als zum Soccer- Endspiel zu gehen. Meine Katze würde sich kranklachen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen