: Smells like Herrenpisse
■ Allerhand Körperströme nebst ruchloser Scheiße in Joghurtgläsern illustrieren das reine Wesen riechender Archaik: Ein Kongreß zum Thema "Riechen" in Bonn
Am Ende seines Vortrages „Geruch und Gehorsam“ machte der Agrarentomologe Dr. habil. Carsten Höller Ernst: Auf eine heiße Kochplatte träufelte er Androstenol und Androstenon und blies den Geruch von Herrenschweiß und -pisse mit einem Ventilator ins Publikum. „Muß man diese Intimität eigentlich über sich ergehen lassen?!“ rief erregt eine ältere Dame ins Mikrophon. Der größte Teil des Auditoriums hatte ein solches Problem nicht und rückte erwartungsfroh näher an den Ort des olfaktorischen Experiments. Dem Männergestank folgte auf der heißen Platte dann süß und moschusschwanger „Exzess“ von Beate Uhse, und die Kongreßteilnehmer konnten erleben, daß Beate mal wieder mächtig übertrieben hatte: „Dieser Duft erweckt weibliche Urtriebe. Schöne Frauen sprechen Sie spontan an, suchen Ihre Nähe, möchten am liebsten sofort mit Ihnen ins Bett.“
Zum Finale wurde ein käsiger „Cocktail aus Fettsäuren, wie er im Vaginalbereich der Frau zur Zeit des Eisprungs vorkommt“ verdampft. Ob es danach noch Fragen an den Referenten gab, ist mir entfallen.
„Das Riechen“ hieß schlicht der Kongreß, der am letzten Wochenende in den erhabenen Hallen der Bonner „Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland“ stattfand. Dunkel und kühl verschluckte der Vortragssaal seine Gäste, nicht viele, 70 vielleicht, die etwas sagen oder lernen wollten über den vernachlässigten Sinn.
Perfekt simultan übersetzt aus dem Englischen und Französischen, ging es um Mäuse und Menschen, Ratten, Salamander, Frösche und Fische, um Yanomami- Indianer und Buschleute aus der Kalahari, um Penisse, Schleim und Blut und natürlich auch um Veilchen und Lavendel, um Pheromone, Rezeptoren und Proteine. So breit das Themenspektrum, so klein die Zahl derer, die sich weltweit professionell mit dem Riechen befassen. Vor locker besetzten Stuhlreihen sprachen Biochemiker, Philosophen, Anthropologen, Architekten, Zoologen, Parfümeure, Ärzte, 14 an der Zahl, 4 Frauen und 10 Männer. Erheblich mehr Besucher hatten die ersten beiden Veranstaltungen der Reihe „Die Zukunft der Sinne“ angezogen, in denen es um Sehen und Hören ging. „Riechen bildet man nicht, riechen tut man einfach“, suchte der leicht enttäuschte Veranstalter Bernd Busch neben Gründen wie sengender Hitze und Urlaubsbeginn nach Erklärungen für den so auch quantitativ intimen Charakter der Veranstaltung.
Und wer waren nun die Zuhörer? Eine unrepräsentative Umfrage unter Menschen um mich herum ergab: eine Medizinerin aus Kiel, die ätherische Öle in Gynäkologie und Geburtshilfe einsetzt und mitarbeitet in einem „gemeinnützigen Verein für Förderung, Schutz und Verbreitung der Aromatherapie und Aromapflege e.V.“, eine Pädagogin aus Bonn, die Kindern das Riechen wieder beibringen will, und ein Ökotrophologe aus Fulda, der seine Abschlußarbeit über „Die Bewertung des Körpers und der Sinne bei Sokrates, Kant, de Sade und Nietzsche“ schrieb.
Kaum ein Vortragender schwelgte nicht in Bildern vom duftenden Alltag in Arabien oder der Antike, und Referenten wie Zuhörer waren sich einig in der Beurteilung des seit der Aufklärung denunzierten Sinnes. Medienwissenschaftler Dr. Michael Wetzel zitierte Horkheimer/ Adorno, die in der „Dialektik der Aufklärung“ apropos „der Tradition des Essens von Blumen nicht nur an das ferne Glück einer Nähe des Geruchssinns zum Einverleiben erinnern, sondern auch an den unendlichen Verlust an Lust, der in der Aufrichtung des Körpers begründet war und dem Verlieren an Witterung wie überhaupt von olfaktorischer Orientierung“.
Vom sinn-losen Alltag von Menschen mit zerstörtem oder verändertem Riechsinn berichtete der HNO-Arzt Prof. Claus Herberhold. Infektionen, Hirntumore oder Schädel-Hirn-Traumen – für letztgenanntes kann schon eine Ohrfeige reichen – sind die häufigsten Ursachen dafür, daß Menschen plötzlich nichts mehr oder „falsch“ riechen, das heißt alles nur noch ölig, brenzlig oder fäkalartig wahrnehmen.
Ob er eine Erklärung dafür habe, warum Frauen in der Schwangerschaft anders riechen und sich ihr Geschmackssinn verändert, wollte eine Zuhörerin wissen. Nein, habe er nicht, mußte Herberhold passen. Umfangreiche Studien in Zusammenarbeit mit der Frauenklinik hätten die erhöhte Sensiblität zwar bestätigt, aber eine meßbare „Schwellenerhöhung“ habe man nie entdecken können.
Die Meßbarkeit von Geruch beziehungsweise die exakte Erklärung dessen, was sich beim Riechen im menschlichen Organismus abspielt, ist eines der größten Probleme der Naturwissenschaftler. Nahrung, Feindabwehr, Partnerwahl – bei Tieren über Gerüche geregelte und gut zu kategorisierende Verhaltensweisen sind beim Menschen nur noch rudimentär vorhanden.
Dennoch: Jeder Mensch hat einen eigenen Geruch, nur eineiige Zwillinge riechen gleich. Jeder kennt das Erlebnis, daß ein in einer Millisekunde aufgenommener Duftreiz ein komplettes Szenario aus der Vergangenheit vor dem inneren Auge auferstehen lassen kann, und wer den Geruch eines anderen Menschen nicht ertragen kann, wird ihm oder ihr trotz aller Ratio nie wirklich nahekommen.
Was aber nicht meßbar ist, ist nichts wert in unserer aufgeklärten Welt, ist „nieder“, und nur folgerichtig schimpfte Kant den Geruchssinn als „entbehrlichsten aller Sinne“. „An solchen zivilisatorischen Sollbruchstellen werden phantasmatisch kompensatorische Wunschkinder geboren, wie Patrick Süßkind in seinem Roman ,Das Parfum‘ eines erstehen ließ“, so Michael Wetzel, „das heißt reine Wesen riechender Archaik, die sich der sublimierenden Erhabenheit des Zivilisationsmenschen mit der subversiven Kraft wilder Sinne widersetzen.“
Was Wetzel allerdings vor allem beschäftigte in seinen Gedanken zum „Gerücht vom Riechorgan“, waren Anhaltspunkte für die Sexualisierung des Geruchsorgans und die Herausarbeitung auch weiblicher Betroffenheit. Die Nase, so Wetzel, sei doppelgeschlechtlich. „Es läßt sich sagen, daß die Nase nicht nur hervorsteht, daß nicht nur etwas herausläuft (oder auch spritzt), sondern daß sie auch Loch ist und daß auch in sie etwas eingeführt werden kann, ja, daß ihre fundamentale Funktion des Filterns und Durchlassens der Atemluft ein passives Aufnehmen ist.“
Am Ende des Kongresses wurde dann noch Scheiße aus Joghurtgläsern gereicht, zwei Jahre lang ökologisch korrekt kompostiert im Bioklo der Referentin und also völlig geruchlos. Mit Leidenschaft plädierte die Architektin Prof. Dr. Margrit Kennedy für die Rückführung von Feuer, Wasser, Luft und Erde in die Städte. Sie berichtete auch über Klimaanlagen, von denen allein in Deutschland neun Millionen Menschen betroffen seien. Indem sie alle von den Menschen ausgehenden Gerüche absaugen, stimulieren sie damit den – wenn auch nur noch rudimentären – Warnsinn. Was übrigbleibe in einem dermaßen geruchlosen Raum seien Gefühle von Angst, Unruhe, Mißtrauen und Unfreiheit. Daniela Reinsch
Die Vorträge sollen in Kürze als Reader erscheinen. Auskünfte: Forum der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Telefon 0228-9171236. Der nächste Kongreß in der Forumsreihe „Die Zukunft der Sinne“ findet vom 25. bis 27. November statt und ist dem Geschmackssinn gewidmet.
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