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Die Zeit der „Kläglichen Mondschau“

„Kriegspfad Berlin 1945 – Moskauer Zeit in Prenzlauer Berg“: Eine kleine Ausstellung zum großen Abschied der russischen Truppen – im Prenzlauer Berg Museum werden die Uhren noch einmal zurückgedreht  ■ Von Stephan Schurr

Der Sieger ist der Herr der Stunde: Wenige Tage nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945 läßt der damals mächtigste Mann von Berlin, Generaloberst Bersarin, die Uhren auf Moskauer Zeit umstellen. Eine Maßnahme von hauptsächlich symbolischem Wert: Schon bald wurde der Befehl aufgehoben, und die Berliner bekamen die zwei Stunden zurück. Aber erst heute steht die „Moskauer Zeit“ endgültig still in Berlin. Auf den Flohmärkten werden russische Armeeuhren dutzendweise verhökert, und die berühmte russische Berlin-Brigade hat ihre letzte Paradevorstellung bereits hinter sich.

Eine kleine Ausstellung bringt die abgelaufenen Uhren noch einmal in Gang. „Kriegspfad Berlin 1945 – Moskauer Zeit in Prenzlauer Berg“ ist ihr Titel. Der Ort, an dem sie gezeigt wird, könnte nicht besser gewählt sein: das Gebäude der ehemaligen russischen Militärkommandantur, heute ein Teil des Bezirksamtes von Prenzlauer Berg, in dem vor 1934 ein Hospital untergebracht war. Auf einer Treppe, deren Stufen die Jahreszahlen von 1933 bis 1944 tragen, geht man in die ehemalige Leichenhalle des Krankenhauses – durchaus passend für eine Chronik des Jahres 1945. Auf Texttafeln wird sie aus mehreren Perspektiven erzählt. Zeitungsmeldungen, Geschichtsdaten und Erlebnisberichte schildern ein Jahr, das mit dem 270. Fliegeralarm begann und mit einem Verbot des Silvesterfeuerwerks endete.

Ein schmaler Gang führt in das rekonstruierte Büro des Bezirks- Militärkommandanten. Die Illusion ist perfekt: Stalin prangt im Bilderrahmen. Auf dem imposanten Schreibtisch stehen zwei Telefone ohne Leitung, der Teppich ist abgewetzt, die Feuchtigkeitsspuren an der Wand sind echt: ein Provisorium auf Dauer. In einer Nische stapeln sich Radiogeräte. Panzergeräusche, Stalins Rede vom 9. Mai 1945, Lieder von Zarah Leander und Marlene Dietrich und das „Ka-lin-ka“ des Alexandrow-Ensembles sind zu hören. Auf einer russischen Karte ist der „Letzte Sturm – die Berlin-Operation 1945“ eingezeichnet.

Aber in diesem Raum gibt es auch noch mehr als Atmosphäre: Aktenordner, in denen sich kopierte Archivalien befinden. Hier läßt sich nachlesen, was zu den Aufgaben der Kommandantur gehörte: die Entnazifizierung, der Aufbau und die Überwachung der Kommunalverwaltung, Wohnungsfragen und die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln. Die anfänglich betont „bürgernahe“ Kommandantur schottete sich ab Mai 1946 zunehmend von der Bevölkerung ab. Ein Jahr später hatten nur noch der Bürgermeister von Prenzlauer Berg und sein Stellvertreter eine Besuchserlaubnis. Im April 1948 schließlich wurde sogar ein eiserner Zaun um das Gebäude gezogen.

Wann die Kommandantur in Prenzlauer Berg ihre Arbeit einstellte, ist nicht bekannt. Sicher ist, daß sie bis nach Gründung der DDR bestand. Das Gefängnis in den Gewölben unter der Militärbehörde, für viele die letzte Station vor ihrer Verbannung in ein sowjetisches Straflager, wurde nicht aufgelöst, sondern weiterhin genutzt – vom Ministerium für Staatssicherheit. Mit Fotografien und Dokumenten wird die Geschichte einer Institution kritisch umrissen.

Die Angst der letzten Kriegsmonate, die sich in Parolen wie „Genieße den Krieg, der Frieden wird fürchterlich“ ausdrückte, war im Ganzen wohl unberechtigt. Erst nach Ablösung des ersten Bezirkskommandanten wurde härter gegen ehemalige NSDAP-Mitglieder vorgegangen. Unter dem Regime von Oberst Jelin mußten sie unbezahlt Schutt räumen – vier Stunden täglich. Auch die dunklen Seiten der Besatzungsherrschaft werden ans Licht geholt: In Zeitzeugenberichten ist von Vergewaltigungen die Rede – ein Tabuthema zu DDR-Zeiten, die entsprechenden Textstellen wurden damals in Veröffentlichungen zensiert.

Als „Klägliche Mondschau“ verspotteten die Berliner ihre erste Tageszeitung, die in einem weiteren Raum der Ausstellung porträtiert wird. Die Tägliche Rundschau, die ab 15. Mai 1945 erschien, wurde durch sowjetische Kulturoffiziere aufgebaut und erreichte eine Auflage von 800.000 Exemplaren. Das offizielle Organ der sowjetischen Militäradministration (SMAD) brachte politische Nachrichten, Mitteilungen über das russische Kulturleben und die neuesten Bestimmungen und Befehle unters Volk.

Bernhard Kellermann und Hans Fallada gehörten zu den Mitarbeitern, und wenn man einer Dame Glauben schenken darf, die auf einem Videofilm zu den Zuschauern spricht, war der Kulturteil der Rundschau exquisit. Kläglich oder nicht – auf ein abschließendes Urteil wird man lange warten müssen, denn das Zeitungsarchiv ist verschollen.

„Es ist hier so langweilig“, hat Heiko von der Klasse 6c ins Besucherbuch geschrieben. Der Satz ist durchgestrichen. Zu Recht, denn diese Ausstellung, die ganz und gar nichts mit den Heldenverehrungskabinetten früherer Tage gemein hat, ist das beeindruckende Ergebnis beispielhafter Stadtteil- und Alltagsgeschichte, einer Spurensuche, die erst begonnen hat und alles andere als langweilig ist.

Bis 22.9., Di. 10–12, 13–19 Uhr; Mi. und Do. 10–12, 13–17 Uhr; So. 13–17 Uhr, Prenzlauer Berg Museum, Prenzlauer Allee 75.

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