■ Verkehrspolitik gegen Schwache: Selber schuld?
Seit Wochen protestieren Eltern an der Kreuzberger Katzbachstraße. Aufgeschreckt hat sie der Tod eines sechsjährigen Jungen, der trotz vorschriftsmäßigen Verhaltens von einem rechtsabbiegenden Lastwagen überrollt wurde. Der Junge war nicht das erste Opfer; in diesem Jahr sind bereits ein halbes Dutzend Kinder auf den Berliner Straßen gestorben. Die Liste der Unfälle wird jeden Tag länger. Gestern wurde beispielsweise in Wilmersdorf eine geradeaus fahrende Radfahrerin von einem rechtsabbiegenden Lastwagen erfaßt; am Unglücksort mußte ihr der Fuß amputiert werden. Zur gleichen Zeit brüstete sich der Verkehrssenator Haase (CDU) mit einer Erfolgsmeldung: Nun soll auch im Westteil der Stadt in den kommenden Monaten an Kreuzungen die Zahl der Grünen Pfeile deutlich erhöht werden. Haases Argument: Der Pfeil verringere die Staugefahr.
Was des Senators Mitteilung mit der unter die Lkw-Räder geratenen Radlerin zu tun hat? Unfälle sind das vorhersagbare Ergebnis einer Ideologie, die trotz aller Diskussionen der letzten Jahre sich weigert, den Verkehr in seine stadtverträglichen Grenzen zu zwingen. Die Toten und Verletzten sind die Kehrseite eines ungebremsten Vorrangs für die Motorisierung im Sinne eines fehlgeleiteten Metropolen-Wahns. Der Grüne Pfeil wurde eingeführt, allen Warnungen zum Trotz vor einer weiteren unerträglichen Beschleunigung des Verkehrs, die Fußgänger an Ampeln selbst bei grünem Licht zu Freiwild macht. Hinter dem Selbstlob des Senators steckt deshalb nichts weiter als die Legitimation der Stärke der motorisierten Verkehrsteilnehmer. Man kann es auch als Warnung lesen: Wer sich als Fußgänger und Radfahrer in den Verkehr begibt, ist selber schuld, wenn er zu Schaden kommt. Gerd Nowakowski
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