: Ignorante Hartherzigkeit
■ betr.: „Der hinderliche Sieg der Ostalgiker“, taz vom 28. 6. 94
[...] Was ärgerlich ist an Leggewies Kommentar?
1. Die PDS ist zwar die Nachfolgepartei der SED, was niemand bestreitet, deshalb ist sie aber doch nicht mit dieser identisch. Genau dies aber wird durch die fortwährenden Hinweise in Leggewies Kommentar suggeriert. Ihm fällt es offensichtlich schwer, Veränderungen zu erkennen, geschweige denn anzuerkennen.
2. Selbiges gilt für seine Hoffnungen, die das rot-grüne Reformbündnis betreffen. Auch die SPD hat sich in den letzten Jahren – leider – eine tiefgreifende Wandlung verordnet. Sie hat sich politisch auf den Weg in die Mitte gemacht, ist zu einer Nachfolgepartei derjenigen SPD geworden, an die offensichtlich Leggewie sein Herz verloren hat. Ihre Ununterscheidbarkeit von der CDU wird an einer Vielzahl von Positionen deutlich. Wer dies zum Anlaß nimmt, sich von der SPD zu verabschieden, dem geht es beileibe nicht um ein ästhetisches Moment, nicht darum, daß Lafontaine die Toskana liebte, während Scharping den Westerwald vorzieht. Wer in der Lage ist, zwischen der (alten) SPD und der (neuen) SPD zu unterscheiden, der beweist mehr Urteilskraft als Leggewie, indem er die Identität einer Benennung („SPD“) sehr wohl von der Identität des Benannten zu unterscheiden weiß.
3. Fortwährend wird suggeriert, daß, wer PDS wähle, die Regierung Kohl um vier Jahre verlängere. Das ist falsch! Betrachtet man die Ergebnisse der letzten Wahlen, so ist das einzige, was einem Regierungswechsel bislang im Wege steht, die Engstirnigkeit der SPD, die sich händeringend gegen eine Koalitionsaussage mit Bündnis 90/ Die Grünen wehrt, von den möglichen Kommunikationen mit der PDS – ginge es rational zu, wie es sich Leggewie wünscht, müßte man ja mal miteinander reden können – ganz zu schweigen.
Obwohl man vieles an der PDS kritisieren kann, so beweist sie doch, daß die ehemalige DDR weitaus mehr zu bieten hat, als eine rote Ampel mit grünem Pfeil für Rechtsabbieger. Christoph Demmerling, Berlin
[...] Ihre Behauptung, daß PDS und CDU je auf ihre Weise den Status quo stabilisieren, gibt beredt Zeugnis von der Unkenntnis der politischen Ziele der PDS, die wie keine andere Partei nach den Umbrüchen seit 1989, Flexibilität bewiesen hat. Ich bin enttäuscht, von der Ignoranz der Intelligenz, die der PDS noch immer vorwirft, die SED-Nachfolgepartei zu sein. Dieser Vorwurf übersieht willentlich die „Selbstveränderung der PDS“, wie sie in ihrem Programm nachzulesen ist. Hier wird eine ignorante Hartherzigkeit vertreten, die dem Kapitalismus nach dem Zusammenbruch der DDR aufs Siegertreppchen verhilft.
Es ist gerade nicht die PDS, die Herrschaftsverhältnisse stabilisiert, sondern die Bezeichnung der PDS als Linkspopulismus, der die Bürger der neuen Bundesländer, die bewußt PDS wählen, als einfache „Kleinbürgerklasse“ stilisiert, ihnen wie eh und je politische Unfähigkeit diagnostiziert und so die Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland wieder aufbaut. Eine Reform, die das Gebot der Stunde darstellt, meint gerade die Integration unterschiedlicher politischer Traditionen und das Lernen aus der Geschichte der Unterdrückten. [...] Christine Schneider, Lörrach
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